Welt(kultur)erbe, die Alternative
9. März 2008
Ein Essay von
Rainer G. Richter
Kunsthistoriker, Oberkonservator
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Kunstgewerbemuseum in Schloss Pillnitz
Immer wieder werden im Zusammenhang mit dem Dresdner Welterbe und dem Bau der Waldschlößchenbrücke Diskussionen über die vorgesehenen Baumaßnahmen geführt. Hierbei gibt es über die zukünftige Gestaltung der Dresdner Elblandschaft die haarsträubendsten Ansichten, die mangels Interesse an der Kulturlandschaft den Welterbetitel gefährden. Zu diesem gewachsenen Landschaftsraum gehören u.a. Stadt und Festung Königstein, Stadt und Festung Pirna, Schloss und Park Pillnitz, der Elbhang, die Elbschlösser, die Waldschlößchenumgebung, die Dresdner Innenstadt mit den Ministerialbauten, dem Jägerhof, dem Residenzschloss, dem Japanischen Palais und den Kirchenbauten sowie das Schloss Übigau am „unteren Ende“ des Dresdner Elbtals. Der etwas enger gesteckte Abschnitt, den wir z.Zt. noch als „Welterbe“ bezeichnen dürfen, erstreckt sich wohl „nur“ von Pillnitz bis Übigau.
Ungeachtet der unterschiedlichen Standpunkte zu den geografischen Begrenzungen des Weltkulturerbes haben alle genannten kulturellen Besonderheiten ein gemeinsames Kriterium, durch das der Ehrentitel Weltkulturerbe überhaupt gerechtfertigt ist: die Einmaligkeit der durch die Stadt führenden Elbwindungen, verbunden mit der ausgedehnten, weitgehend naturbelassenen Uferlandschaft, welche die einmalige Natur-, Kultur- und Stadtlandschaft Dresden hervorgebracht hat. Keiner anderen bedeutenden Stadt auf der Welt ist eine solche Verbindung zwischen Fluss, Landschaft und urbaner Bebauung gelungen. Sämtliche größeren Städte Europas, die an einem oder mehreren Flüssen gelegen sind (Berlin, Budapest, Florenz, London, Paris, Prag, Rom, St. Petersburg usw.), haben ihre Bauten bis an die Ufer geführt, welche meist von hohen Uferstraßen gesäumt wurden. Nur in Dresden ist es weisen Kurfürsten und Königen und später ebenso klugen und tüchtigen Stadträten gelungen, die Dresdner Elblandschaft weitestgehend zu erhalten.
Angefangen im 16. Jahrhundert unter Herzog und Kurfürst Moritz (1521/1541-1553), der Dresden zu einer Renaissancestadt erblühen ließ, fortgeführt durch „Vater August“ (1526/1553-1586), der Dresden zu der militärisch meistbefestigten europäischen Stadt des 16. Jahrhunderts ausbaute, über Johann Georg I. (1585/1611-1656), der gewaltige Jagden, Festspiele und -musiken auf den breiten Elbwiesen aufführen ließ, ferner über August den Starken (1670/1694-1733), unter dem Dresden zu einem kleinen „Venedig des Nordens“ avancierte, bis hin zu den bedeutenden Entscheidungen der Regierung und der Stadtverwaltung um 1900, gelang es bis jetzt, den einmaligen Landschaftscharakter der Großstadt weiterhin zu bewahren. Selbst als um 1880 die Elbe im Zusammenhang mit der Kettenschifffahrt vorsichtig kanalisiert wurde (Uferbefestigung, Ausbau von Hafenanlagen und Pferdeschwemmen), blieb dieser einmalige Charakter erhalten!
Heute gibt es inmitten dieser Landschaft in der unmittelbaren Nähe des von Camillo Graf Marcolini (1739-1814) am Ende des 18. Jahrhunderts angelegten Waldschlößchens, zu dem das heute noch bestehende neogotische Haus, das sogenannte Waldschlößchen, ursprünglich aber auch ein englischer Park und eine Meierei (etwas elbabwärts auf der heutigen Bautzner Straße) gehörten, eine äußerst sensible Stelle: den so genannten „Waldschlösschenblick“, womit eine Aussicht vom Waldschlösschen auf die Elblandschaft und die Dresdner Altstadt gemeint ist.
Genau an diesem Aussichtspunkt verließen Reisende, eben noch aus dem Dunkel der Dresdner Heide kommend, die Bautzner Landstraße, um von der hohen Uferböschung aus (etwa dort, wo der heutige Pavillon steht) den prächtigen Anblick Dresdens zu genießen. Wer ist nicht heute noch bewegt, wenn er z.B. Ernst Rietschels (1804-1861) Lebensbeschreibung liest, in welcher er diesen überwältigenden Eindruck wiedergibt, als er als Kind zum ersten Mal aus Pulsnitz nach Dresden kam!
Diesen historisch gewachsenen Waldschlößchenblick durch eine Brücke (ungeachtet dessen, wie „schön“ sie zu werden verheißt) zu zerschneiden und zu zerstören, hieße, den sensibelsten Bereich der Dresdner Kulturlandschaft am empfindlichsten zu treffen! Wer dennoch an dieser Stelle eine Elbquerung wünscht, sich aber dem kulturellen Erbe verpflichtet fühlt, braucht sich nur für die Alternative Tunnel zu entscheiden.
Der Tunnel ist die Alternative!
Jeglichen Beifall errang,
wer Nützliches mischt mit dem Schönen
Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci
Horaz, ars poetica