Ein Essay von
Heidrun Laudel
Architekturhistorikerin
Am Abend des 12. März 2008 stellte Heidrun Laudel im Rahmen einer Benefizveranstaltung unter der Kuppel der Yenidse folgenden Text vor:
Ich war leicht amüsiert, als ich die Ankündigung unserer heutigen Veranstaltung „Diese Brücken woll’n wir bauen“ in der Zeitung las. Da stand: Es wird auch eine Architekturhistorikerin dabei sein. Eine Architekturhistorikerin, welch’ Exotin unter den Erzählern, Literaten und Musikern. Ich weiß auch gar nicht, ob’s so werbeträchtig war. Historiker, das sind doch diejenigen, die vor allem erzählen, wie schön es früher war und mit Gegenwart und Zukunft nichts so Richtiges im Sinn haben.
Und wenn es dazu noch um Dichtkunst und den einzigartigen Zusammenklang von Siedlung und Flusslandschaft geht, der Dresden den Welterbetitel eingebracht hat, da ist man schnell dabei, 200 Jahre zurück, auf das „Zeitalter der Empfindsamkeit“ um 1800 zu schauen, als man das Phänomen der einzigartigen Einbettung der Stadt in den Naturraum in immer wieder neue Worte kleidete.
- Da denkt man an Schiller, der seinem Freund Ludwig Ferdinand Huber 1785 von der „romantischen Natur“ berichtete, die die Elbe bei Dresden um sich her bilde,
- oder an Kleist, der seiner Verlobten, Wilhelmine von Zenge, die „feierliche Lage“ Dresdens „in der Mitte der umkränzenden Elbhöhen“ schilderte, der den Fluss beschrieb, wie er „sich spielend in tausend Umwegen durch das freundliche Tal“ schlängelte, „als wollte er nicht in das Meer“ fließen.
Das literarische Dresden-Lob einzusaugen, mag so mancher geschundenen Seele – ich nehme die meinige nicht aus – bisweilen gut tun. Doch sind wir damit nicht beim eigentlichen Thema. Denn das beginnt erst im Anschluss an die Zeit der Romantik mit ihrem ausgesprochenen Sinn für Naturschönheiten.
Dresden steht heute einzigartig in der Welt da, weil es im 19. und 20. Jahrhundert eine vergleichsweise behutsame Entwicklung zur Großstadt genommen hat, weil bei aller Ausdehnung des Siedlungsraumes, das Stadtbild noch immer durch die Besonderheit der landschaftlichen Lage geprägt wird.
Das war nicht immer nur der weisen Voraussicht der Väter unserer Stadt und dem ausgeprägten Sinn ihrer Bürger für Natur- und Stadträume geschuldet. Manchmal war auch der Zufall im Spiele. Vor allem aber war es das Elbtal selbst und sein mäandernder Fluss, der sich als störrische Schönheit den kursierenden schematischen Planungen und fragwürdigen ästhetischen Leitbildern widersetzte, wie sie die sog. „Moderne“ hervorgebracht hat.
Auch in Dresden träumten die Architekten fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch von einem Fluss, an dem die Bauten – wie man es von Venedig her kannte – schroff am Ufer aufsteigen würden, um von der Wasserfläche gespiegelt zu werden. Ein ästhetisches Ideal, das denen gelegen kam, die die Elbauen als hoch einträgliches Bauland zu verwerten trachteten.
Es war ein Wasserbaudirektor namens Schmidt, der solchen Begehrlichkeiten erfolgreich Widerstand leistete. Ihm haben wir es zu verdanken,
- dass die Elbe nicht kanalisiert wurde und
- dass sich heute die Auenlandschaft bis ins Zentrum erstreckt und so jene Weite des Blickes bewahrt wurde, die die Silhouette der Altstadt mit dem bekrönenden Kuppelbau der Frauenkirche erst zu voller Wirkung bringt.
Jener Moritz Wilhelm Schmidt bedeutete den Architekten seiner Zeit, dass sie Trugbildern aufsaßen, wenn sie an Ströme dachten wie den Rhein bei Köln oder die Donau bei Pest. Im Vergleich zu ihnen war die Elbe die meiste Zeit des Jahres ein Rinnsal, weit entfernt von einer ausgedehnten, von Schiffen belebten Wasserfläche, von der man träumte. Die Elbe – so Schmidt – würde sich in dem ihr zugewiesenen weiten Bett wie etwas bewegen, in das sie nicht hineingehört, vergleichbar mit einem „dürftigen unansehnlichen Menschen in einem weiten schlotternden Kleide“.
Aber es waren weniger solche plastischen Bilder, die man von einem Mann seiner Zunft auch kaum erwartete, als der Verweis auf die enormen Folgekosten, die die Ufermauern an einem sich windenden Fluss verursachen würden. Das allein ließ das Finanzministerium von den Kanalisierungsplänen abrücken.
Schmidts ausdrückliche Forderung, am rechten Elbufer „vom Waldschlößchen bis an die alte Brücke“ den „Charakter des Landschaftlichen“ zu erhalten, fand zu seinen Lebzeiten keine breite Anhängerschaft. Hartnäckig hielt sich die Idee, auf der Neustädter Seite eine Hochuferstraße anzulegen.
Da war es gut, dass 1922 ein Nicht-Dresdner das Amt des Stadtbaurates antrat und sofort den hohen Wert der Flussaue als „grüne Lunge“ erkannte. Gemeint ist Paul Wolf. Er war innovativ genug, statt des geplanten Verkehrszuges mit dem Projekt eines Uferparks zu überraschen und zu überzeugen. Denen, die da meinten, auf eine ausgebaute Straße am Fluss nicht verzichten zu können, hielt Wolf vor Augen, welch’ verheerende Wirkung ein solches Verkehrsvorhaben im angebrochenen Zeitalter des Autos für den Landschaftsraum darstelle. Er erklärte das Vorhaben schlichtweg als „unzeitgemäß“. Wohlgemerkt, das war in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sich anderenorts – nämlich in Paris – ein Le Corbusier anschickte, mit seiner „Ville Contemporaine“ das gleichermaßen trostlose wie verhängnisvolle Schema einer verkehrs- und letztlich autogerechten Stadt zu entwickeln.
Paul Wolf war es auch, der für das Areal der Waldschlößchenwiese den bekannten Aussichtspavillon entwarf und damit jenen Ort markierte, an dem sich denen, die von Bautzen her, aus der Dichte des Waldes kommen, plötzlich die Weite der Landschaft mit der Silhouette der Stadt im Hintergrund auftut. Unzählige Male ist dieser Blick von den Malern der Romantik im Bild festgehalten worden. Als in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts zu befürchten war, dass die damalige Besitzerin, die Sozietätsbrauerei, den Wiesenhang als Bauland umnutzen würde und sich die Stadt ihrer ortsgesetzlichen Grundlagen nicht mehr so sicher war, hat sie fast eine halbe Million Reichsmark aufgewendet, um – wie es hieß – diesen „einzigartigen, herrlichen Aussichtspunkt auf die Stadt und ihre Umgebung“ in ihr Eigentum zu bringen und ihn so „für alle Zeiten“ zu sichern.
Aber nicht nur dieser einen Blickbeziehung wegen ist die breite Wiesenfläche bislang geschützt worden. Sie ist auch als Teil des Panoramas, das sich vom Altstädter Ufer her auftut, als unantastbar angesehen worden.
Denn von dieser Seite der Elbe aus ist sie als die sanft ansteigende Heidesandterrasse zu erleben, die sich an die Hügelkette der Loschwitzberge (Lausitzer Granitplatte) schiebt und mit ihr zusammen den Großen Elbbogen rahmt.
Von der Altstadt her erscheint sie als Anlauf einer imposanten Naturbühne, die als solche auch zu verschiedenen Zeiten genutzt worden ist:
- etwa als Szenerie von Seeschlachten, die die sächsischen Kurfüsten pompös inszenieren ließen und vom Blasewitzer Tännicht her verfolgten oder – etwas weniger martialisch –
- als Wiesenrund, das im Frühsommer 1865 Tausenden von Sängern als Stätte ihres ersten Bundesfestes diente.
Mehr noch: Von hier, von dem Blick nach dem Neustädter Ufer, ist einst eine Initialzündung ausgegangen. Dieser Landschaftszug hat Dresden zu einer Bauordnung verholfen hat, die im 19. und noch im 20. Jahrhundert als vorbildhaft galt. Im Jahre 1826 wurde per Königlichem Reskript über das Gelände der späteren Johannstadt ein Bauverbot verhängt. Damals waren sich die Verantwortlichen einig, dass der Ruhm Dresdens als eine „der schönsten Städte“ nur gewahrt werden könne, wenn die „freundliche Seite“ der Stadt „mit […] dem schönen Ausblick auf die Loschwitzberge“ offen gehalten würde.
Es war das der Anfang einer Baugesetzgebung, die lange bevor es für den Denkmalschutz eine handlungsfähige Institution gab, festlegte:
- außerhalb einer Kernzone nur offene Bebauung zuzulassen
- und die Sicht auf markante Blickpunkte nicht zu verstellen.
Das hat nun allerdings nichts mehr mit glücklichem Zufall zu tun. Hierin zeigte sich Dresden anderen Städten tatsächlich überlegen. Das ist eine Tradition, auf die zu verweisen sich lohnt: Die Stadt Dresden hat sich rechtzeitig eine Handlungsgrundlage geschaffen, die der Einzigartigkeit der Siedlungslandschaft Rechnung trug.