Semperoper mit einer Stimme im Landtag gerettet
7. April 2008
Die Künstlerin Many Jost
hat ein Kulturerbe Dresdens
vor der Zerstörung bewahrt.
Ein Essay von
Viola Zetsche
Dass die Semperoper nach Kriegsende abgerissen werden sollte, ist bekannt. Wer sie vor dem Abbruch bewahrte und wie dieser Ort der Weltkultur und damit Dresdens Gesicht und seine Identität gerettet werden konnte, wurde erst jetzt bekannt. Knarrende Tonaufnahmen aus dem Archiv der Malerin Many Jost aus Meißen erzählen bewegt und bewegend eine historisch bedeutende Geschichte.
Etwa 1.300 Besucher steigen täglich die Sandsteinstufen zum prächtigen Eingangsportal der Semperoper über dem die bronzene Pantherquadriga von Johannes Schilling zu schweben scheint. Man nimmt Maß. Vielsprachig sind die Kommentare der Staunenden, Japanisch, Englisch, Russisch und Deutsch natürlich.
„Sieht aus wie das Wiener Burgtheater“, sagt eine Österreicherin und ihr weißer Seidenschal weht wie eine Friedensfahne im Wind. Kein Wunder, denn beide Häuser wurden nach den Plänen des Architekten Gottfried Semper erbaut. Als erstes Königliches Hoftheater wurde der Bau als eines der schönsten europäischen Theater berühmt. Heute prägt er nach Wiederaufbau und Rekonstruktionen als Semperoper das Stadtbild der Weltkulturstadt Dresden entscheidend mit.
Many Jost kannte die sechs Skulpturen an der Fassade: die Dichterfürsten Schiller und Goethe am Eingang, Shakespeare und Sophokles auf der linken und auf der rechten Seite Molière und Euripides, noch aus ihrer Studienzeit vor der Zerstörung in der Bombennacht am 13. Februar 1945.
Many Jost wurde am 8. September 1897 in Kaweczyn bei Warschau geboren. 1910 kam sie mit ihrer Familie nach Meißen. Sie studierte Kunstgeschichte an der Universität in Bonn und Graphik, Malerei und Kunsthandwerk an der Kunstgewerbeakademie in Dresden. Mit ihrer Selbstverwirklichung als gebildete Frau und Künstlerin vollzog sie auch ihre Profilierung als katholische Christin.
Nach 1945 verband Many Jost christlich-soziales Denken mit politischem Engagement. Sie war Mitbegründerin der CDU in Meißen. Als Stadtverordnete und Abgeordnete im Landtag Sachsen setzte sie zwischen 1946 und 1950 wesentliche Akzente bei der Erhaltung und dem Wiederaufbau Dresdens. Den entscheidenden, als der Bauausschuss wegen des geplanten Abbruchs der Semperoper zusammentrat.
Das Tonband knackt und die sympathische Stimme von Many Jost erzählt, was sich im Bauausschuss seinerzeit zugetragen hat: „Heute haben wir was ganz wichtiges abzustimmen. Die Semperoper muss weg, die muss abgerissen werden. Ein Architekt … will einen Kulturpalast bauen, der den ganzen Theaterplatz einnehmen soll. Der Zwinger muss weg und die Hofkirche auch und die Semperoper.“ Das sagte der Vertreter der SED Walter Weidauer, der von 1946 bis 1958 Oberbürgermeister der Stadt Dresden war.
Der holländische Architekt Mart Stam soll in der Sowjetunion Kulturpaläste aus Stahl, Beton und Glas gebaut haben. Gleiches, erzählt Many Jost, wollte er auch in Dresden tun.
Sie hat sich zu Wort gemeldet und beantragt Sachverständige einzubeziehen. Die Oper wäre baufällig, war die Antwort. Many Jost ließ nicht locker: „Soviel ich weiß, steht am Zwinger angeschrieben: Kulturerbe, auf Russisch. Und, an der Hofkirche steht angeschrieben: Nichts entnehmen, Kulturerbe, auch auf Russisch. Das müsste Ihnen doch eigentlich zu denken geben Herr Oberbürgermeister.“
Als Many Jost noch in der Mittagspause mit Professor Beyer von der Technischen Universität Dresden sprach, antwortete er: „Das ist doch Irrsinn! Ist doch nur ausgebrannt, außer dem Bühnenhaus ist alles noch intakt.“
Nach der Mittagspause hat Many Jost einen SED-Mann, angesprochen: „Herr Heiden, sie sind doch ein vernünftiger Mann – wir können doch nicht die Semperoper abreißen! Stimmen Sie heute Nachmittag mit uns.“
Ein historischer Moment für Dresden und, ein entscheidender. „Ich verstehe doch nichts von Kunst und Kultur. Wenn es eine Diskussion gibt, sagen Sie mir wann ich mit ihnen stimmen muss“, antwortete er. Many Jost hat ihm im entscheidenden Moment den vereinbarten leichten Tritt gegeben und der Mann der SED hob seine Hand mit denen der CDU, die damals für die Erhaltung des Kulturerbes Semperoper stimmten.
Niemand möchte sich den Theaterplatz heute mit einem protzmodernen Kulturpalast vorstellen und gewiss würde er wie der Palast der Republik inzwischen schrittweise abgerissen.
Zwinger und Hofkirche haben die Russen erhalten. Die SED bekam die Auflage, beide mit Hilfe des Landesamts für Denkmalpflege wiederaufzubauen. Walter Bachmann richtete dafür die Zwingerbauhütte ein. Er und sein Nachfolger Hans Nadler haben um jede Ruine in Dresden gekämpft.
Many Jost hat sich mit Umsicht und Klugheit mutig gegen drohenden Irrsinn gestellt. Bei einer späteren Abstimmung hat sie als „Gegenleistung“ mit der SED gestimmt. Nach einer feurigen Rede gegen die Vorgehensweise der Sowjets in Dresden bekam sie 1960 schließlich Redeverbot.
Am 13.02.1985 wurde nach weitgehend originalgetreuer Rekonstruktion mit der Aufführung von Webers „Freischütz“ die dritte Semperoper in ihrer heutigen Form eröffnet. Busladung nach Busladung wälzen sich tagsüber die Besucher, laut Spiegel online jährlich 300.000, durch den geschichtsträchtigen Semperoperbau. Schön für die Gäste aus aller Welt und ein Glück für uns Dresdner, dass die Semperoper nicht ausradiert worden ist.
Die Parallelen zum Irrsinn auf den Waldschlösschenwiesen heute sind augenscheinlich … Manchmal ist es nur eine Stimme die laut werden muss, eine Hand die sich heben muss um das Gesicht einer Stadt zu bewahren und damit Geschichte zu schreiben.