Welterbe-Titel birgt Tourismus-Potential
6. Mai 2008
Sehr reizvoll war wieder einmal die Zugfahrt von Wien nach Dresden – die Linien Budapest-Hamburg und Wien-Prag/Prag-Dresden verbinden die sächsische Landeshauptstadt mit den schönsten Metropolen Europas. Auffallend ist leider immer, dass fast alle Touristen in Prag aussteigen. Ganz besonders leer wird es ab Prag, im Fall, dass der Zug in Dresden endet. Wir sind also nicht ganz das Zentrum des Universums, auch wenn manche vielleicht meinen, es kommen sowieso alle Touristen der Welt hierher.
Man kann also schön die Beine hochlegen ab Prag, aber was nützt uns das? Es gibt zwar viele Besucher, aber es könnten ganz sicher mehr sein. Das Potential ist nicht nur im genannten Fall klar erkennbar, sondern auch durch aussagekräftige Studien der Stadt selbst belegt. In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick auf den Anteil ausländischer Besucher in Dresden. Er liegt bei 15% – in anderen deutschen Städten dagegen bei 50%. Zur Größenordnung: Könnte Dresden die Zahl der Besucher aus Deutschland konstant halten und den Anteil ausländischer Touristen von 15% auf 50% erhöhen, bedeutet das über eine Milliarde € mehr Umsatz und fast 20.000 neue Arbeitsplätze.
Nun sinkt die Besucherzahl – minus 5% im Jahr 2007 – während es die Jahre davor stark nach oben ging. Da gab es die Fertigstellung der Frauenkirche, die 800-Jahr-Feier, die Neueröffnung des Grünen Gewölbes und die Fußball-WM. Nun pendelt es zurück. Zudem ist der Euro für Japaner und Amerikaner teuer geworden und in den USA gibt es wirtschaftliche Probleme.
Trotzdem verzeichnen viele andere Städte in Deutschland Zuwächse, manche sogar zweistellige. Und: In Dresden sollen bis zu 4.000 neue Hotelbetten entstehen. Die Frage stellt sich, wer sie füllt und warum sich in Zukunft mehr Reisende für Dresden entscheiden sollen, wo es doch gerade weniger werden? Immerhin wird Reisen viel teurer werden – die IEA geht von einer Ölkrise in wenigen Jahren aus.
Damit nimmt der Konkurrenzkampf um die Besucher in Europa zu. Die Auswahl an Zielen ist riesig, der Jahresurlaub dagegen in vielen Ländern kürzer als in Deutschland. Dresden kann nur gewinnen, indem es möglichst viele Gründe für einen Besuch bietet. Für die Tourismuswerbung ist der Welterbetitel ein hervorragendes Instrument und aus diesem Grund ist er auch (mit erheblichem Aufwand) beantragt worden. Dresden steht jetzt auf der Welterbeliste – auf Augenhöhe mit den Pyramiden von Gizeh, dem Taj Mahal oder den Victoria-Fällen.
Vor allem im asiatischen Raum ist eine Vermarktung von „Welterbereisen“ in Europa geplant und Dresden ist Teil favorisierter Routen, z.B.:
- Stralsund/Wismar – Potsdam/Berlin – Dresden – Prag/Wien
- Wartburg/Weimar/Quedlinburg/Dessau – Dresden – Bad Muskau/Jawor/Schweidnitz (Swidnica)/Krakau
Verliert das Dresdner Elbtal den Welterbetitel, dann bleiben für diese speziellen „Welterbetouristen“ immer noch genügend attraktive Ziele bestehen.
So wie es aussieht, rutschen wir bald wieder ab in die zweite Liga, was die internationale Beachtung angeht. Zudem dürfte das Etikett „Banausen“ ziemlich gut anhaften. Der herbe Image-Verlust (für ganz Deutschland) führt sicher dazu, dass einige sich ganz bewusst gegen eine Dresden-Reise entscheiden.
Da wir weltweit erst die zweite von 851 Welterbestätten sein würden, die den Titel verliert, werden andere bequem aus der Ferne studieren können, welche Auswirkungen das für sie selber haben würde. Wir dürfen gespannt sein, was dann die Presse woanders dazu schreiben wird. Den Beobachtern fällt bestimmt das Sprichwort ein: „Dumme lernen nur aus ihren eigenen Fehlern“. Im Oman wurde ein Wildschutzgebiet zugunsten der Öl- und Gasförderung aufgegeben – ganz sicher ein finanzieller Gewinn. Dresden kann wohl kaum hoffen, beim Bau der Brücke oder der anschließend zu befürchtenden Bebauung der Elbauen ähnlich reiche Funde zu machen.
Regensburg und Quedlinburg sind sicher nicht mit Dresden zu vergleichen, aber doppelt so viele Besucher seit Erhalt des Welterbe-Titels sprechen trotzdem eine klare Sprache. Selbst wenn es hier 10% mehr werden, sind das 150 Millionen € mehr Umsatz in einem einzigen Jahr! Falls ein Tunnel wirklich mehr kostet, sollten wir das im Auge behalten.
Bei all den Diskussionen um Kosten wird von offizieller Seite und den Brückenbefürwortern verschwiegen, dass Baustahl im Vergleich zum Planungszeitpunkt der Brücke inzwischen das 2,5-fache kostet und mithin zu Mehrkosten der Brücke um ca. 20 Mio € führt. Außerdem stellt der Bund ca. 80 Mio € Rückforderungen von Fördermitteln in Aussicht, falls der Titel aberkannt wird. Nicht der Tunnel, sondern die Brücke droht so zu einem finanziellen Fiasko zu werden. Die Rückforderungen seitens des Bundes sind möglich, da ein Rechtsgutachten der Bundesregierung die innerstaatliche Bindungswirkung der Welterbe-Konvention festgestellt hat. Dass Dresden den Titel verliert, wenn jetzt einfach weiter gebaut wird, haben die führenden Vertreter von UNESCO und ICOMOS bereits mehrfach klar gestellt.
All das bedeutet:
- Durch geschickte Vermarktung des Welterbegebietes ist es möglich, mehr Besucher nach Dresden zu locken, oder wenigstens dem allgemeinen Rückgang des Tourismus entgegen zu wirken. Bei heute 1,5 Milliarden € Gesamtumsatz und 28.000 Arbeitsplätzen im Tourismus bedeutet jedes zusätzliche Prozent 15 Millionen € mehr Umsatz und 280 zusätzliche Arbeitsplätze. Bekannt ist zudem der Induktionseffekt, d.h. ein neu geschaffener Arbeitsplatz bringt mehrere neue mit sich, z.B. bei Zulieferern und Dienstleistern, sowie durch die gestiegene Kaufkraft der Angestellten.
- Es wird mit Sicherheit nicht der Fall sein, dass mehr Besucher zu uns kommen, wenn der Welterbetitel futsch ist. Längst nicht jeder fühlt sich durch die Waldschlößchenbrücke ästhetisch berührt. So wie es läuft, werden wir das schon bald ganz genau wissen und jede Menge andere Begründungen hören, warum es so kommen musste, dass die Besuchszahlen sinken. Am Verlust des Titels liegt es dann natürlich überhaupt nicht, vielmehr ist z.B. das Wetter schuld, vielleicht auch zu viele „Mücken“.
Wenn es also gelingen soll, mehr statt weniger Touristen anzulocken, sollte diese Brücke nicht einfach weiter gebaut werden. Und wenn der Tunnel zum Erhalt des Titels führt, dann darf er nicht verhindert werden!
Diese Entscheidung ist von Belang weit über die Lebenszeit jetziger Entscheider hinaus. Die langfristige Perspektive muss den Entscheidungsträgern in Stadt und Land klar sein, um kleinkariertes Machtdenken aufzubrechen. Frieden in der Bürgerschaft wird diese Brücke niemals bringen. Man würde im Gegenteil immer wieder daran erinnert werden, was für eine sinnlose Fehlentwicklung in ihr einen Abschluss gefunden hat.