Bevor es zu spät ist
12. Mai 2008
Zugegeben, Brücken baut man häufiger als Tunnel. Doch so manche Stadt baute Hochstraßen, die sich im Nachhinein nicht als Ideallösung erwiesen. Auch Dresden hat ein solches Beispiel zu bieten. Die Hochstraße an der Kesselsdorfer Straße Ecke Freiberger Straße hat den Raum städtebaulich stark verändert – nicht zu seinem Vorteil.
Hochstraßen in noch viel größerem Umfang hatte die nordamerikanische Stadt Boston gebaut. Eine Hochautobahn, die in den Jahren 1951 bis 1959 errichtet wurde, war der Verkehrsbelastung bereits nach einigen Jahrzehnten nicht mehr gewachsen. Hinzu kam, dass die Stahlträgerkonstruktion deutliche Ermüdungserscheinungen aufwies. Die schrittweise Sanierung hätte ein jahrelanges totales Verkehrschaos in der Bostoner Innenstadt bewirkt. So entschied man sich zu Beginn der 1980er Jahre, die Hochautobahn unter die Erde zu verlegen. Durch die Tieferlegung der Stadtautobahn gewann man etwa 11 Hektar Freiflächen, gleichzeitig wurde die Abgrenzung Bostons von seiner revitalisierten „Waterfront“ rückgebaut. Nach nahezu vollständiger Fertigstellung des Projektes wird es nun von allen Seiten als voller Erfolg gelobt: Die Innenstadt erhielt zusätzliche Grünflächen, Wohnquartiere wurden aufgewertet und die CO²-Belatung Bostons konnte erheblich verringert werden.
Landet man heute in Boston und fährt in Richtung Innenstadt, quert man den Charles River durch einen Tunnel, spaziert durch die Innenstadt und erfreut sich an neu entstandenen Grünflächen.
Müssen wir in Dresden erst eine Hochstraße bauen, um in einigen Jahrzehnten dann doch festzustellen, dass eine unterirdische Querung von Vorteil gewesen wäre – oder lernen wir aus den Fehlern Anderer bevor es zu spät ist?
Welch zerschneidende Wirkung Hochstraßen durch Grünzüge haben können, kann sicherlich an vielen Beispielen gezeigt werden. Eines ist im Süden von Leipzig zu besichtigen. Auf dem Gebiet eines ehemaligen Gutes errichtete um 1900 Paul Herfurth – ein damals bedeutenden Zeitungsverleger – eine neoklassizistischen Parkanlage mit Baumgruppen, idyllischen Teichen, Tempeln, Statuen und Säulengängen samt der so genannten Weißen Villa mit ihrem imposanten, vergoldeten Spiegelsaal. Sie wurde dem Lustschloss „Petit Trianon“ im Versailler Schlosspark nachempfunden. Die Parkanlage, heute unter dem Namen „agra-Park“ bekannt, wurde mit der 1972 fertig gestellten Hochtrasse der B2/B95 optisch ramponiert und in einen östlichen und einen westlichen Teil zertrennt. Für die 360 Meter lange und 24 Meter breite Hochstraße mussten der Rosengarten sowie Teile der Gärtnerei weichen. Die ursprüngliche Konzeption des zusammenhängenden Landschaftsparks wurde damit weitestgehend zerstört. Der Lärm auf der B2/B95 hat die Gegend verändert. Muss man derartige Fehlplanungen wiederholen oder gelingt es Dresden, aus Fehlern der Geschichte zu lernen?
In der Diskussion um die Waldschlößchenbrücke wird nur allzu oft gesagt, der Tunnel sei zu teuer. Die Brückenbefürworter sagen: Es sollte sorgsam mit den Steuergeldern umgegangen werden. Aber so einfach ist das nicht. Alle Steuerzahler wollen für ihr Geld natürlich eine Gegenleistung. Baut man mit dem Geld eine Brücke für die 135.000 Dresdner, die sich vor drei Jahren dafür entschieden haben, ohne zu wissen welche Folgen sie hat, werden all diejenigen, die den Tunnel oder aber gar keine Querung wollen, darin eine Verschwendung sehen.
Ein Kompromiss Tunnel würde hier Wunder wirken! Die Brückenbefürworter bekommen so eine Elbquerung. Den Tunnelfreunden und jenen, die die Elbwiesen ohne Querung wollen, bleiben zumindest die Elbwiesen erhalten. Ein Kompromiss heißt immer, sich zu arrangieren und von der individuellen Ideallösung abzuweichen. Nur so können wir es – ganz im Sinne der Demokratie – möglichst vielen Dresdnerinnen und Dresdnern recht machen. Das kann auch bedeuten, dass wir etwas mehr Steuergelder ausgeben müssen. Doch: nur dann steht die Lösung auf einem sicheren Fundament. Es sind unser aller Steuergelder, also sollte die Lösung so ausfallen, dass sie von den meisten Dresdnern mitgetragen wird.