Kultureller Anspruch versus Wirklichkeit
16. Mai 2008
Eine kritische Anmerkung von
Gunter Just
Bürgermeister a.D. für Stadtentwicklung und Bau
Dresden vor dem 2. Weltkrieg war eine Kulturmetropole von europäischem Rang.
Unseren kulturellen Anspruch hielten wir hoch trotz des physischen Niedergangs der Stadt als Folge der Zerstörung und der darauffolgenden Zeiten. Die aus diesem Anspruch resultierende kulturelle Wertschätzung unserer Stadt im größeren Deutschland spürten wir deutlich in Gestalt von Zuwendungen aller Art während und nach der Hochwasserkatastrophe 2002 sowie beim Wiederaufbau der Frauenkirche.
Seit einigen Jahren jedoch driften Anspruch und Wirklichkeit beängstigend auseinander. Auf der einen Seite Dresdens Kulturbürgertum einschließlich der gesamten Kulturelite, dazu eine Vielzahl von Bürgerinitiativen, Instituten, kulturpolitischen Gremien, Fakultäten und Fachräten vereint in dem Bemühen, die kulturelle Ausnahmestellung Dresdens zu bewahren und dabei große Besucherströme in Sachsens Kapitale zu locken. Auf der anderen Seite das kulturlose Handeln konservativer Entscheidungsträger aus Stadt-und Landesregierung. Während sächsische Granden tönen, der Welterbestatus Dresdner Elbtal sei verzichtbar und man halte die Aberkennung des Welterbetitels für kein Unglück, schallt es von der konservativen Seite des Stadtrates, man bedürfe des touristischen Werbeeffektes durch den Titel nicht, nein, nach Dresden komme man der Stadt selbst wegen. Wortmeldungen, die an Ignoranz und Kulturlosigkeit kaum zu überbieten sind, sieht man von den faschistoiden Traktaten eines sächsischen konservativen Bundestagsabgeordneten einmal ab.
Andernorts wird mit der Adelung durch das Weltkulturerbe gewuchert und es wird im In- und Ausland auf das Trefflichste vermarktet. Nicht so in der sächsischen Landeshauptstadt. Das Welterbe-Elbtal Dresden findet bei Tourismus-und Immobilienmessen sowie einschlägigen Veranstaltungen keine Erwähnung. Der Titel wird nahezu ängstlich unter der Decke gehalten. Das Resultat: Die Anzahl der Dresden besuchenden Gäste sank 2007/2008 drastisch! Gewiss ist dies nicht der einzige Grund, warum in den Augen potenzielle Besucher die Attraktivität Dresdens schmilzt. Es fehlt im Rathaus eine Vision, der Stadt über das bereits Existierende hinaus Glanz und Ausstrahlung zu verleihen. Statt dessen wird Stadtentwicklung und Kulturpolitik im Geschäftsbereich Finanzen ausschließlich unter fiskalischen Aspekten gesteuert. Deshalb beklagen wir vertane Chancen, Standortfehlentscheidungen und Verschleppung dringlich notwendiger Vorhaben.
Der Reihe nach.
Das Fußballstadion neben dem Großen Garten im Stadtzentrum ist die Standortfehlentscheidung par excellence. Dieser Standort wird uns künftig nicht nur reichlich Ärger bereiten, sondern die Kassen von Stadt und Land kräftig belasten. Obgleich wir über mehrere nahezu ideale Standorte im Rand-und Außenbereich verfügen, entschied man sich mit Blick aufs Dynamo-Stadion fokussierte Wählerpotenzial für einen Standort ohne Erweiterungsoptionen und ohne ausreichende Parkmöglichkeiten und vor allem ohne natürliche Auslaufzone für emotionalisierte Fans.
Die Operette, das einzige und dazu noch überaus erfolgreiche Operettentheater Deutschlands ist nach nahezu einem Jahrzehnt verschleppender Diskussion noch immer untergebracht in einem ehemaligen Dorfgasthof am Stadtrand. Das Operettenhaus gehört nicht nur seinen kulturellen Bedeutung wegen ins Stadtzentrum, vielmehr wäre es angesichts unserer noch reichlich vorhandenen innerstädtischen Brachen eine willkommene stadtentwicklerische Bereicherung. Der ursprünglich vorgesehenen Standort an der Prager Straße vereinte mehrere Vorzüge. Der Bürgermeister für Finanzen entschied in einsamer Stunde anders. Die Aufwertung des Bahnhofumfeldes durch diese Kultureinrichtung hätte die Gefahr einer Frankfurter Entwicklung für alle Zeiten gebannt. Die mehrheitlich aus der Region zu uns strömende Besucher des Operettentheaters wären durch die Nähe des Bahnhofs und diverser Tiefgaragen auf das Angenehmste zum Theater gelangt. Nun ist plötzlich als Standort für das Operettentheater das Kraftwerk Mitte im Gespräch. Vorstellbar, jedoch nicht optimal. Im Interesse einer sehnsüchtig erwarteten Bebauung des Postplatzes wäre nämlich diesem Stadtraum der Vorzug zu geben.
Im Zusammenhang mit einem Konzerthaus für unsere beiden Spitzenorchester verfügten wir dann mit der Semperoper, dem Schauspielhaus, der Operette und möglicherweise einem Konzerthaus über ein Kulturforum, wie in Deutschland kein zweites existiert. Diese beiden Orchester, Dresdner Philharmonie und Sächsische Staatskapelle, gehören zu den besten, die auf unserem Kontinent musizieren. Bereits seit einer Ewigkeit fordern Künstler und die interessierte Öffentlichkeit energisch und zunehmend ungeduldig einen adäquaten Musentempel für die Philharmonie sowie zur Schaffung räumlicher und künstlerischer Synergien auch für die Staatskapelle. Die traditionsreiche Musikstadt Dresden hätte nach dem Beispiel Hamburgs seit einem Dezennium Initiative zeigen müssen. Dort baut unsere Partnerstadt mit Hilfe von Mitteln privater Investoren, von Fördermitteln des Bundes und eines eigenen Stadtstaatlichen Anteils die spektakuläre Elbphilharmonie auf einem hamburgischen Speicher. Die imposante Hafenstadt wirbt also mit nicht zu übersehenden kulturellen Angeboten. Dazu gehört auch – allerdings bereits seit vielen Jahren – das legendäre Musicaltheater.
Das halbherzige Angebot der Dresdner Stadtregierung, den Saal im Kulturpalast in einen reinen Konzertsaal umzubauen, entspricht keinesfalls dem Anspruch des Dresdner und des internationalen Konzertpublikums, ist also inakzeptabel und erscheint armselig angesichts des ständig größer werdenden Konkurrenzdrucks deutscher und ausländischer Veranstaltungsorte. Der Kulturpalast, dringlich einer Auffrischung bedürftig, muss in seiner Funktion als Stadthaus beziehungsweise Stadthalle erhalten bleiben! Das Konzerthaus hingegen muss ein Glanzlicht mit weit über unsere Region, möglichst sogar über die Landesgrenzen hinaus wirkender Leuchtkraft werden. So betrachtet wäre der von einigen prominenten Dresdnern vorgeschlagene Standort auf der Neustädter Seite im Bereich des ehemaligen Narrenhäusels der faszinierende Ort für große Architektur.