Bürgerliche Parteien kontra bürgerliche Mitte?
6. Juni 2008
Eduard Zetera
wundert sich …
Der Streit um die Waldschlößchenbrücke hat zu der schizophrenen Situation geführt, dass die Dresdner Vertreter der „bürgerlichen Parteien“ sich bewusst gegen einen wesentlichen Teil der gebildeten Dresdner Mittelschicht stellen, die traditionell ihre Stammwählerschaft bildet. Wie kann das sein?
Zunächst muss man sich einmal das Meinungsbild zu Brückenbau und Welterbeerhalt in der Dresdner Bevölkerung und seine Entstehungsgeschichte vor Augen führen: Von unserem mittlerweile zurückgetretenen Ministerpräsidenten Georg Milbradt erfahren wir: „Kurt Biedenkopf, Herbert Wagner und ich haben immer vor einer Beantragung des [Welterbe-] Titels gewarnt.“ Ließ sich das Unglück der Titelverleihung schon nicht verhindern, übten sich Landesregierung und Stadtverwaltung konsequenter Weise bei der Propagierung des Welterbegedankens in äußerster Zurückhaltung – obwohl sie sich gerade dazu gegenüber der UNESCO mit der Beantragung des Welterbetitels ausdrücklich verpflichtet hatten. Den Dresdnern wurde eben gerade nicht erklärt, dass ihnen ihre Vorväter eine Stadtlandschaft von ganz außergewöhnlichem Wert überantwortet haben. Statt stolz darauf zu sein, dass Dresden in einer Reihe mit vielen großartigen Stätten des Weltkulturerbes der Menschheit steht, weiß der gemeine Dresdner daher bis heute keine vernünftige Antwort auf die Frage, was der Welterbetitel bedeutet und welchen Wert er für seine Heimatstadt hat. Gelernt hat er nur, dass man mit Welterbetitel keine Brücken bauen darf und dass die UNESCO ein arroganter Haufen ist.
So verwundert wenig, dass in der Dresdner Bevölkerung allein mit wachsendem Bildungsgrad die Ablehnung des Brückenprojekts zunimmt. Die Welt schätzt ein, dass „fast die komplette Dresdner Kulturelite … die Brückenpläne für unvereinbar mit dem kulturellen Anspruch Dresdens erklärt.“
Freilich steht das in krassem Widerspruch zur Einschätzung des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der in der SuperIllu verlauten lässt: „Die Brücke ist kein Problem – allenfalls für eine kleine Minderheit von Dresdnern und für die Feuilletons.“ Angesichts der Tatsache, dass mit 50.000 Unterzeichnern sich gut 11% der wahlberechtigten Dresdner einen Bürgerentscheid zur Tunnelalternative wünschen und dass im März bei der Großdemonstration für den Erhalt des Weltkulturerbe Dresdner Elbtal und gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke mit 15.000 Teilnehmern die größte Kundgebung in Dresden seit den legendären Montagsdemonstrationen der Wendezeit stattgefunden hat, ist man geneigt, ihm eine Wahrnehmungsstörung oder gar Realitätsverweigerung vorzuwerfen. Doch das ist zu kurz gesprungen. Der Umstand, dass Kurt Biedenkopf sich gerade der SuperIllu offenbart, deutet darauf hin, dass er mit dieser Einschätzung wohl nicht die „Dresdner Kulturelite“ erreichen möchte. Ganz im Gegenteil: Ihm geht es viel mehr um die „schweigende Mehrheit der Dresdner“, die auch CDU-Stadtrat und Brückenbau-Frontmann Hans-Joachim Brauns zu repräsentieren vorgibt.
Nun ist eine „schweigende Mehrheit“ ein sonderbares Gebilde. Es liegt in der Natur der Sache, dass man sie nicht fragen kann, was sie meint und ob sie denn tatsächlich eine Mehrheit ist. Dazu schweigt sie. Gleichwohl liegt nach allem, was wir in den vergangenen Wochen auf einschlägigen Veranstaltungen gehört und gesehen haben, die Vermutung nahe, dass es sich bei den Befürwortern eines Brückenbaus gewiss nicht um eine kleine Minderheit handelt und dass sie weniger in bildungsbürgerlichen Kreisen als vielmehr am Stammtisch zu suchen ist. Und genau das ist der Punkt: Es geht der Dresdner CDU zuallererst um den Erhalt der Lufthoheit über demselben. Schließlich stehen wir vor der Wahl des Dresdner Oberbürgermeisters. Namentlich die sächsische CDU hat ein großes Interesse daran, dass die Landeshauptstadt eine Oberbürgermeisterin mit ihrem Parteibuch bekommt. Und da zählt jede Stimme. Mehrheiten sind gefragt – nicht Vernunft.
Dafür ist die Dresdner CDU sogar bereit, auf Konfrontationskurs zu einer Kerngruppe ihrer eigenen Wählerschaft zu gehen: der gebildeten, kultur- und geschichtsbewusst denkenden Dresdner Mittelschicht. Dafür, dass man sich mit diesen Kreisen überworfen hat, gibt es unzählige prominente Beispiele. Doch der intellektuelle Substanzverlust beschränkt sich nicht auf die Wählerschaft, er erstreckt sich bis in das Personal der Partei selbst hinein. Darauf deutet ein bemerkenswertes Indiz: Wer einmal einer Stadtratssitzung beigewohnt hat, dem wird aufgefallen sein, dass mit besorgniserregender Regelmäßigkeit einige Vertreter der CDU-Fraktion mit ihren Lautäußerungen und ihrer Körperhaltung die Grenzen des Anstandes übertreten und weit in Richtung Flegelhaftigkeit hinter sich gelassen haben. Sie dokumentieren damit nicht nur die Verachtung für ihre politischen Gegner. Nein, sie lassen schlicht den erforderlichen Respekt vor den Wählern, in deren Auftrag sie im Stadtrat sind, und vor der Würde des Hauses vermissen. Zugleich offenbaren sie Defizite in ihrer eigenen Bildung und Erziehung.
Fast vergessen … die FDP!
Grundsätzlich lässt sich zur Position der Dresdner FDP in Brückenfragen das gleiche wie zur CDU sagen. Doch das war nicht immer so: Noch vor wenigen Monaten konnte man im Forum der hiesigen FDP-WebSite eine lebendige, bemerkenswert differenzierte und ausgewogene Diskussion pro und contra Brückenbau verfolgen. Die Moderation ließ hier einen wahrhaft liberalen Geist erkennen, war doch die offizielle Haltung der Partei zur (pro) Waldschlößchenbrücke stets unstrittig.
Inzwischen ist das Forum jedoch bereinigt und auf Linie gebracht. Damit ist das wahrnehmbare Profil der Dresdner FDP in Brückenfragen auf die Größe einer Mücke geschrumpft. – Zugegeben: einer lästigen; von der man im übrigen sagt, dass selbst mancher Dresdner Liberale sie nur zu gern an die Berliner Luft setzen möchte.
Ja und … die Presse?
Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach hat jüngst die Vertreter beider Seiten im Dresdner Brückenstreit darüber aufgeklärt, dass sie sich nach der „Theorie des feindlichen Mediums“ geradezu zwangsläufig ungerecht behandelt fühlen müssen. Gleichzeitig führt er den Nachweis, dass die Berichterstattung der Dresdner Lokalpresse pro und contra Brückenbau absolut ausgeglichen und weder in die eine noch in die andere Richtung merklich verzerrt ist.
Ein solches Verhalten der Lokalpresse erscheint zunächst einmal logisch. Genauso wie die politischen Parteien buhlt sie um eine Mehrheit – in der Abonnentenschaft. Solange Unklarheit darüber herrscht, welche Auffassung mehrheitlich vertreten wird, wird es sich auch die Presse mit keiner Seite verderben wollen.
Wolfgang Donsbach weist ihr nun die Rolle des unparteiischen Schiedsrichters zu, der – selbst vollkommen leidenschaftslos – darüber berichtet, wie die Vertreter beider Parteien im Brückenstreit sich jeweils wechselseitig gegen das Schienbein treten. Er attestiert ihr zugleich, dass sie diese Aufgabe absolut korrekt erfüllt. Dabei übersieht er jedoch zweierlei:
Zuerst einmal betrachtet er nur die Dresdner Lokalpresse. Für jemanden, dessen Horizont durch die Höhenzüge der Elbhänge begrenzt ist, erscheint diese Betrachtungsweise durchaus umfassend. Gleichwohl wird übersehen, dass der Blick der überregionalen Presse weit weniger beschränkt ist und sie daher den instinktlosen Umgang der hiesigen Kommunal- und Landespolitik mit dem Welterbe und der UNESCO fast ausschließlich mit Unverständnis und Befremden kommentiert.
Darüber hinaus rechtfertigt er so aber auch den Verfall des Anspruchs, den gute Journalisten an ihre eigene Arbeit haben sollten. Sind sie denn nur leidenschaftslose Berichterstatter, quasi Protokollführer – oder hatte guter Journalismus nicht einmal das Ziel, auch unbequeme Denkanstöße zu liefern, den Horizont zu erweitern und Meinungsbildung zu befördern? Warum sollte ein Dresdner Abonnent noch seine Lokalzeitung lesen, wenn er ihr ohnehin nur noch Statusberichte entnehmen kann, zum Weiterdenken aber keinerlei Anregungen mehr erhält? Zumindest gebildeten Dresdnern fällt es immer schwerer, darauf eine vernünftige Antwort zu finden.