Weltkultur kaputt
15. Juni 2008
In einer Landschaft, die Friedrich Schiller zu seiner Ode „An die Freude“ inspirierte, werden mit tausenden Tonnen Wasserbeton Tatsachen geschaffen. Um den Bau der Waldschlößchenbrücke doch noch aufzuhalten, starteten Künstler den WeltKulturMarsch von Dresden durch Deutschland nach Berlin.
von Viola Schlesinger
Es regnet in Strömen aber die Männer wollen nicht weichen. Sie stehen vor einer 5 × 20 Meter großen Bilderwand. Mit Kabelbindern ist sie an einem Zaun des Kölner Doms befestigt, der hinter dem Panoramabild steil in die Höhe ragt. Mit Erlaubnis der Dombaumeisterin Prof. Dr. Barbara Schock-Werner haben Dresdner Künstler das 5 × 20 Meter große Foto hier sturmfest gemacht. Auf der riesigen Leinwand ist zu sehen, was seit Jahren umstritten und immer wieder in den Medien ist: das Welterbe Dresdner Elbtal.
Malerisch reicht die Elbe mit ihren breiten Auen bis direkt in das von Kuppeln bekrönte Stadtzentrum hinein. Sanfte Hügel, weite Wiesen, alte Bäume – eine Landschaft, wie von Caspar David Friedrich gemalt. Ein Panorama, das seit jeher Künstler, von Bernardo Bellotto genannt Canaletto bis Friedrich Schiller, verzaubert hat. Der Ort inspirierte Schiller zu seiner Ode „An die Freude“ – die Textvorlage für die Europahymne.
Gerade Künstler wollen sich nicht damit abfinden, dass dieser Ort durch den Bau einer Brücke gerade an dieser Stelle für alle Zeiten zerstört werden soll. Der Bildhauer und Holzgestalter Michael Grasemann und der Architekt Norbert Scheuermann stellen einen Tapeziertisch auf den verregneten Domplatz in Köln. „Oooouuu!“, schallt es aus einer Kneipe herüber, wo Kölner dicht gedrängt das erste Tor von Kroatien gegen Deutschland fallen sehen.
Was machen Dresdner mit einer riesigen Stadtansicht bei Regen vor dem Kölner Dom? Michael Grasemann wischt den Malertisch trocken und breitet darauf Postkarten und Elbkiesel mit dem Wort DRESDEN darauf aus. „Es macht betroffen und wütend, wie sich politische Arroganz über Gutachten und Maßgaben der UNESCO hinweg setzt, weil z.B. ein Herr Milbradt den ideellen Wert des Ortes nicht sehen kann.“
Genau davor will die UNESCO solche Orte im Ernstfall bewahren: vor Gewalt, vor kurz gehaltenem Zeitgeschmack, vor ideologisch geleiteter Zerstörungswut oder einfach nur vor bornierter Kurzsichtigkeit. Warum stoppt keiner das zerstörerische Brückenprojekt? Wird in Dresden zum ersten mal der Ernstfall geprobt?
Zwei Bürgerbegehren gegen die Brücke, 1996 mit 23.000 und 2008 mit 50.000 Unterschriften, wurden von der Stadtverwaltung und dem Regierungspräsidium einfach vom Tisch gewischt. Das Regierungspräsidium als eine Mittelbehörde erwies sich stets als willfähriges Instrument der CDU-dominierten sächsischen Staatsregierung. Da steht wirtschaftliches Einzelinteresse gegen Weltkultur.
Was vor aller Augen passiert, wurde von Journalisten bekannt gemacht und immer wieder von großen Blättern kritisiert. Soll die Torheit, nun schon einmal angefangen, jetzt zu Ende geführt werden? Das wäre, als würden Generäle sagen: „Nun haben wir die Kanonen, jetzt müssen wir auch schießen!“
Die Bundesrepublik Deutschland hat im Juli 2004 gegenüber der UNESCO und der Welt anerkannt, dass es ihre Aufgabe ist, Schutz und Erhaltung des Welterbes Dresdner Elbtal sicherzustellen wie auch „seine Weitergabe an künftige Generationen“. Sie hat anerkannt, „hierfür alles in ihren Kräften stehende zu tun, unter vollem Einsatz ihrer eigenen Hilfsmittel und gegebenenfalls unter Nutzung jeder ihr erreichbaren internationalen Unterstützung“.
„Möge die Bundesrepublik Deutschland diese Verpflichtung nun einlösen!“ sagt Norbert Scheuermann, der genau dafür am 9. Juni mit anderen Künstlern den WeltKulturMarsch in dreizehn deutsche Großstädte angetreten hat. Letzte Station wird am 21. Juni Berlin sein. In der Bundesregierung steht nicht nur Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gegen die Brücke. Er hat mehrfach gemahnt, einen Kompromiss zu suchen und betont, der Bund werde einen Tunnelbau auch finanziell unterstützen. Genützt hat es nichts. Bisher hat die Bundesregierung ihre eigenen Hilfsmittel und die Nutzung jeder, ihr erreichbaren internationalen Unterstützung nicht ausgeschöpft: Die Brückenfreunde bauen weiter.
„Canaletto kaputt“ titelte Die Zeit, Nr. 45, 2005. Kaum ist mit der Frauenkirche das berühmte Elbpanorama von Dresden komplett, wird es wieder zerstört. Eine vierspurige Elbbrücke bedroht das Stadtbild, was unweigerlich zur Aberkennung des Welterbetitels führt. Im Juli 2006 hat die UNESCO die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. Der Grund dafür war die Gefährdung durch das Bauvorhaben Waldschlößchenbrücke.
Was auf der Bilderwand vorm Kölner Dom zu sehen ist, wird weiter mit Beton zugekippt. Diejenigen, die Dresden das eingebrockt haben, amtieren längst nicht mehr: Ex-Ministerpräsident Biedenkopf wurde von den eigenen Parteifreunden aus dem Amt gemobbt, Ex-Oberbürgermeister Roßberg wurde nach Untreue-Vorwürfen suspendiert und Ex-Ministerpräsident Milbradt verzockte erst mit der Sächsischen Landesbank Milliarden und stolperte schließlich über dubiose Immobiliengeschäfte. „Ist es möglich, dass die ganze Weltgeschichte missverstanden worden ist? Ist es möglich, dass die Vergangenheit falsch ist?“, schrieb Rilke. „Ja, es ist möglich.“
Eine Frau vor der Bilderwand auf dem Domplatz in Köln legt ihre Hände vors Gesicht: Sie ist traurig und kann nicht fassen, dass so etwas möglich ist. „Machen Sie weiter“, sagt die Frau im roten Regencape. „Das haben wir vor. Die Künstlerin Many Jost verhinderte nach dem II. Weltkrieg den Abriss der Semperoper. Der Architekt Hermann Krüger, Stadtkonservator in Dresden, hat dafür gesorgt, dass das Schloss noch steht. Jetzt sind wir eben dran.“ Michael Grasemann hat den Marschplan kurzerhand umgestellt: am Samstag, dem 14. Juni, kommt der WeltKulturMarsch von 10:00 bis 12:00 Uhr noch einmal außerplanmäßig vor den Kölner Dom. Wer gegen Landesregierende und Stadtverwalter hält, der lässt sich von schlechtem Wetter und einem Fußballspiel nicht unterkriegen.