Piefigkeit besiegt die Vernunft
17. Juni 2008
In der Berliner Zeitung vom 14.06.2008 heißt es unter dem Titel „Das erschöpfte Europa“ über das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag: „Der Kontinent erlebt historische Tage. Sie werden als diejenigen in die Geschichte eingehen, an denen die Piefigkeit die Vernunft besiegte.“
Aha. Und was hat das mit Dresden zu tun? Und gar mit dem Elbtunnel?
Das erschließt sich, wenn man ein wenig weiter liest: „Die Piefigkeit besteht in dem Glauben, dass alles besser wäre, wenn man doch abgeschottet auf der eigenen Scholle unter seinesgleichen bleiben könnte. Die Europäische Union, dieses merkwürdige Gebilde, erscheint als Bedrohung. Als obskure und fremde Macht, die den Einfluss der Nation schmälern will. … Diese Sichtweise entsteht im Bauch und nicht im Kopf.“ – Ersetzt man „Europäische Union“ durch „UNESCO“ und die „Nation“ durch unser geliebtes „Dresden“ ist man schneller als erwartet in der hiesigen Diskussion darüber angelangt, ob internationale Verpflichtungen der Bundesrepublik eine stärkere Bindungswirkung entfalten als kommunale Bürgerentscheide.
Darüber kann man bekannter Maßen geteilter Meinung sein. Die Auffassung der Berliner Zeitung zur Frage, ob denn nun globales oder lokales Denken wichtiger ist, scheint indes eindeutig: „Die Europäische Union hat 27 Mitgliedsländer. Gäbe es die EU nicht, wäre jedes davon im internationalen Maßstab ziemlich unbedeutend. Von dem Belgier Paul-Henri Spaak, einem der Gründerväter der Gemeinschaft, stammt das berühmte Bonmot: ‚Es gibt nur kleine europäische Staaten. Manche haben es nur noch nicht gemerkt.‘ … Deutschland wäre ohne die EU alles Mögliche, aber bestimmt nicht Exportweltmeister und ein angesehenes Mitglied der Völkerfamilie. Wer in Europa meint, auf die Union verzichten zu können, macht sich Illusionen über die eigenen Fähigkeiten.“
Der Glaube der Iren, auch ohne die Europäische Union ganz gut klar zu kommen, ist ebenso irrig wie die trotzige Dresdner Einwendung: „Die Touristen kommen auch ohne den UNESCO-Welterbetitel zu uns.“ Sicher tun sie das, es fragt sich nur, wie viele und woher.
Dresden ist eine kleine Stadt,
mit einem großen Maul.
Ein Franzose, 1846
Der beschämend niedrige Anteil ausländischer Gäste in Dresden spricht eine deutliche Sprache. Die wichtigste Außenwirkung des UNESCO-Welterbetitels wäre es, eben dieses Defizit zu beheben. Ein solch außergewöhnliches Prädikat unterstützt die Sichtbarkeit Dresdens insbesondere bei Touristen aus Übersee.
Nun hat alles im Leben zwei Seiten: Wer sich mit dem Welterbetitel schmücken möchte, muss zugleich bereit sein, für die Bewahrung des Welterbes Zugeständnisse zu machen. Der aberwitzige Versuch, die Brücke weiterzubauen und zugleich auf einem Titelerhalt zu bestehen, bedeutet schlicht, dass man sich Rechte sichern möchte, ohne Verpflichtungen eingehen zu wollen. Das geht nun aber mal nicht – oder wie der Engländer sagt: „Well, there’s no such thing as a free lunch.“
Es mag einfach sein, zu beklagen, dass die Dresdner den tatsächlichen Wert des UNESCO-Welterbetitels einfach nicht erkennen wollen und geneigt sind, ihn leichtfertig in den Wind zu schreiben. Das liegt wohl auch daran, dass es Landesregierung und Stadtverwaltung bewusst unterlassen haben, die Dresdner aufzuklären und bei ihnen Stolz auf die Auszeichnung, Freude über ihre Wirkung und Begeisterung für die damit verbundenen Werte zu wecken. Ja – aber haben sie denn danach gefragt? Wenigstens einmal?