Schreiben an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vom 23.06.2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit dem Mut einer gewissen Verzweiflung und Ohnmacht in einer dramatischen Situation erlauben Sie mir als Mitglied der Dresdner Bürgerbewegungen zum Erhalt des Welterbetitels für das Dresdner Elbtal, Sie zu informieren und Unterstützung zu erhoffen. Sehen Sie mir die emotionale Formulierung nach; die Situation meines Anliegens ist tatsächlich dramatisch: Es geht um den unaufhaltsamen Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke und die damit unweigerlich verbundene endgültige Aberkennung des Welterbekultur- und Naturtitels für das Dresdner Elbtal auf der Anfang Juli 2008 stattfindenden UNESCO-Tagung in Quebec.
Warum wende ich mich an Sie, den Petitionsausschuss des Bundestages und nicht an die unmittelbar zuständige politischen Ebenen, nämlich die Stadt Dresden bzw. das Land Sachsen:
Die Bundeskanzlerin hat in einem Antwortbrief auf eine Anfrage zum Thema u.a. ausgeführt, dass sich die Bundesregierung immer wieder für einen Dialog der zuständigen Behörden mit der UNESCO für einen Kompromiss zum Titelerhalt eingesetzt habe, dass die Verantwortung aber beim Freistaat Sachsen und bei der Landeshauptstadt Dresden liege und sie nur an die Verantwortlichen appellieren könne, jedoch keine Weisungen erteilen könne. Sie betonte aber, dass die UNESCO-Welterbekonvention Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen binde (Anfrage des Herren Darge vom ADFC Dresden vom Februar 2008).
In ähnlicher Weise äußerte sie sich in ihrer Antwort auf meinen Brief vom 09.04.2008. Zitat: „Die Bundesregierung hat die Vorgänge um die Waldschlößchenbrücke mit großer Sorge um das Ansehen Deutschlands verfolgt. Doch waren und sind die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung begrenzt. Der Denkmalschutz und damit das Welterbe sind nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nicht dem Bund, sondern vorrangig den Ländern zugeordnet. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 29.05.2007 angemerkt, dass die UNESCO-Welterbekonvention nach Konzeption und Wortlaut keinen absoluten Schutz gegen jede Veränderung bietet. Die Angelegenheit um den Bau der Waldschlößchenbrücke ist in erster Linie eine Angelegenheit der zuständigen Behörden der Landeshauptstadt Dresden und des Freistaates Sachsen“. Ich entnehme der Antwort, dass die Bundeskanzlerin die drohende Aberkennung des Welterbetitels als bedauernswerten Vorgang hinnehmen wird.
Daneben steht die Äußerung des ehemaligen Ministerpräsidenten von Sachsen, Herr Prof. Milbradt, der sich in der „Sächsischen Zeitung“ vom 13.05.2008 dazu bekannte, zusammen mit Prof. Biedenkopf und Herrn Wagner, ehemaliger Oberbürgermeister von Dresden, immer vor der Beantragung des Titels gewarnt zu haben und den Welterbetitel für verzichtbar hielt. Mit anderen Worten: man will den Titel mit allen Konsequenzen wieder loswerden!
In diesem Sinne hat sich auch der designierte Ministerpräsident, Herr Tillich geäußert.
Die Bekenntnisse des Herrn Milbradt waren das politische Credo zu diesem Thema in seiner Regierungszeit und sie sind es in der neuen Ära seines Nachfolgers.
Dem Credo fühlt sich auch Frau Orosz als zukünftige Oberbürgermeisterin von Dresden verpflichtet. Sie erhielt zur Stichwahl am 22.06.2008 64% aller Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 34% und wurde damit von 22% aller wahlberechtigten Dresdner gewählt. In ihrem Wahlkampf forderte sie die unverzügliche Fertigstellung der Brücke und gleichzeitig Gespräche mit der UNESCO-Welterbekommission zum Erhalt des Welterbetitels, wohl wissend, dass die UNESCO-Welterbekommission sich eindeutig gegen diese Brücke ausgesprochen hat.
Unterdessen wird mit Hochdruck an der Brückenbaustelle weitergearbeitet, um unumkehrbare Tatsachen zu schaffen. In gleicher Weise lässt sich auch der um ein halbes Jahr vorgezogene Baustart gegenüber den amtlichen Bauablaufterminen erklären, d.h. erst jetzt im Juni 2008 hätte offiziell damit begonnen werden müssen.
Gegen dieses Credo hatten alle Vermittlungs- und Gesprächsangebote der Bürgerinitiativen, von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch außerhalb Dresdens und Sachsens, die Forderungen von Herrn Bandarin vom Welterbezentrum in Paris nach sofortigem Baustopp der Arbeiten im Brückenbereich (Interview in der „Sächsischen Zeitung“ vom 10./11.05.2008), zahlreicher Politiker aus der SPD auf Bundesebene und aus der Regierung des Freistaates, positive Zuschriften von Ministerpräsidenten von acht Bundesländern sowie bedeutende Organisationen wie der Deutsche Kulturrat keine Chance. Selbst das mit 50.000 gültigen Stimmen durchgeführte Bürgerbegehren für einen Elbtunnel, dass vom Dresdner Stadtrat mit knapper Mehrheit für gültig erklärt wurde, ist durch das Veto des amtierenden Dresdner Oberbürgermeisters gescheitert und wurde vom Regierungspräsidium aus formaljuristischen Gründen für ungültig erklärt.
Zu den Fakten gehören unbedingt folgende Feststellungen, die gegen eine Brücke sprechen:
- Das Regierungspräsidium stellte im Zusammenhang mit dem Planfeststellungsbeschluss am 25.02.2004 fest: „Eine unterirdische Anordnung der Verkehrsanlage wird naturgemäß den Aspekten Städtebau, Denkmalschutz und Landschaftsbild besser gerecht. Eine Beeinträchtigung der Blickbeziehungen erfolgt nicht.“
- Das Institut für Städtebau und Landesplanung der RWTH Aachen gelangt zu der Feststellung, “dass der Bau der Brücke an dieser Stelle eine irreversible Schädigung der besonderen Qualität des Elbtales wäre.“
- Die Bundesarchitektenkammer Berlin mit 114.000 Mitgliedern sagt: „Dieses Stahlgerüst vor der Silhouette Dresdens können wir uns aber nicht vorstellen“
Die Fakten lassen darauf schließen, dass weder von der Stadtverwaltung Dresden, noch von der Sächsischen Staatsregierung eine welterbeverträgliche Lösung zu erwarten ist und von der Bundeskanzlerin keine Unterstützung zu erhoffen ist.
Was erhoffe ich von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren des Petitionsausschusses:
- Unterstützen Sie uns beim Ringen um den sofortigen Baustopp an der Brückenbaustelle, denn mit jedem Tag schwinden die Chancen auf Bewahrung des Welterbetitels durch die Kompromisslösung Elbtunnel.
- Nehmen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Einfluss darauf, dass die Bürgerinitiativen auf Bundesebene die ihnen gebührende Unterstützung zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens erhalten. Die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens scheiterte u.a. daran, dass die vom Verkehrsminister mehrmals geäußerten Zusagen eines finanziellen Ausgleiches nicht in einem entsprechenden Titel im Finanzministerium eingestellt sind und demzufolge nicht als gesichert gelten.
- Mahnen Sie die Verpflichtung der Regierung des Freistaates Sachsen an, sich der verbindlichen Verantwortung zum Erhalt des Welterbetitels für das Dresdner Elbtal nicht länger zu entziehen, sondern sich für einen sofortigen Baustopp und anschließenden Bürgerentscheid „Kompromisslösung Elbtunnel“ einzusetzen. In der „Sächsischen Zeitung“ vom 10./11.05.2008 äußerte sich Herr Bandarin dahingehend, dass er ein solches Signal erwarte, um Dresden eine Chance zum Erhalt des Titels zu geben.
- Falls die Landesregierung Sachsen und die Stadtverwaltung Dresden trotz aller Bemühungen den Titelverlust in Kauf nehmen und damit die Verpflichtungen zur UNESCO-Welterbekonvention und daraus abzuleitendes innerstaatliches Recht brechen, würde dieser Vorgang aus meiner Sicht die Anwendung des §37 „Bundeszwang – Weisungsrecht gegenüber Landesregierung bzw. Kommune“ rechtfertigen.
In dem Zusammenhang sei mir eine Bemerkung zum Antwortbrief der Frau Bundeskanzlerin erlaubt: In meinem Brief fragte ich, ob sie die Verweigerungshaltung der Sächsischen Landesregierung zum Welterbetitel ebenso wie auch die Titelaberkennung mit allen politischen Konsequenzen hinnehmen würde. Die Delegierung der Verantwortung gemäß „Kompetenzverteilung“ an die Stadt Dresden und die Landesregierung Sachsen sind nur die halbe Wahrheit, denn „die UNESCO-Welterbekonvention bindet alle staatlichen Ebenen in Deutschland“, also auch die Bundesregierung.
Auch die Bemerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum „absoluten Schutz gegen jede Veränderung“ geht an der Sache vorbei, denn Veränderungen im welterbeverträglichen Sinne wie zum Beispiel der von uns favorisierte Elbtunnel schließt die UNESCO keineswegs aus. Abschließend wird bemerkt: „Aus Sicht der Bundesregierung wäre es zu begrüßen, wenn wie bislang nach einer Konsenslösung gesucht werden könnte“. Die Konsenslösung in Gestalt des Elbtunnels liegt seit 2003 in der Stadtverwaltung, seitdem kämpfen die Bürgerinitiativen vergeblich um Gehör und Realisierung.
Bedenken Sie bitte in dem Zusammenhang die absurde Situation: Die Dresdner Stadtverwaltung ignoriert ihre Verpflichtung zur Bewahrung des Welterbetitels, sie tut alles, um ihn loszuwerden, verbreitet bei jeder Gelegenheit Unwahrheiten zur Realisierbarkeit der von ihr selbst 2003 in Auftrag gegebenen Elbtunnelvariante, ignoriert zwei Stadtratsbeschlüsse zur Umsetzung des Bürgerentscheides und verweigert vehement von den Bürgerinitiativen angebotene Gespräche zur Erörterung der Kompromisslösung Elbtunnel. In ähnlicher Weise ignorierte die Sächsische Landesregierung die eindringliche Mahnung der Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Frau Stange, und des Ministers für Wirtschaft, Herrn Jurg, für einen sofortigen Baustopp (Sächsische Zeitung vom 05.04.2008).
Was gibt mir eine gewisse Zuversicht, sehr geehrte Damen und Herren des Petitionsausschusses, dass wir in unserem Ringen um das einmalig schöne Dresdner Elbtal, das 2004 mit dem Titel Weltkultur- und Naturerbe geadelt wurde (nur 4 von 34 deutschen Welterbestätten sind Weltkultur- und Naturerbe!), nicht unterliegen werden: Schließlich haben die Bürgerinitiativen mit bewundernswerter Kraft, die sie eben aus jenem berühmten Elbtal bei Dresden schöpfen, bereits erreicht, dass
- das UNESCO-Büro in Paris sich vorab der Tagung in Quebec eindeutig gegen jede Brücke und für einen Tunnel als Kompromiss ausgesprochen hat,
- die Bürgerinitiativen einen Bürgerentscheid „Welterbeerhalt durch Elbtunnel“ initiiert haben,
- der Dresdner Stadtrat für einen neuen Bürgerentscheid gestimmt hat und
- die technische Realisierbarkeit der Kompromisslösung Tunnel von der Dresdner Stadtverwaltung, von Brückenbefürwortern und der Ingenieurkammer Sachsen nicht mehr in Abrede gestellt wird
Ich zähle auf Ihre Neutralität in der Beurteilung dieses Anliegens ebenso wie auf Ihre Sachkenntnis zu dieser Angelegenheit.
Das Welterbegebiet und die Tunnelquerung schließen sich nicht aus – also kann es nur eine vernünftige Lösung geben: Der Elbtunnel mit greifbaren Vorzügen im Bereich Umwelt- und Naturschutz bietet die Gewähr für den Titelerhalt, die Bewahrung des Dresdner Elbtales vor welterbeunverträglichen zukünftigen Bebauungen und würde die von den Brückenbefürwortern gewünschte Elbquerung an dieser landschaftlich sensiblen Stelle ermöglichen. Nicht zuletzt würde der Bürgerfrieden wiederhergestellt werden; wenn auch nur allmählich und mit wachsendem Bewusstsein und Stolz, in einer Stadt zu leben, die den begehrten Titel trägt.
Hochachtungsvoll
Berndt Neugebauer