Einstürzende Argumentationsgebäude
5. Juli 2008
Eduard Zetera
ist amüsiert
Der bisherige Erfolg der Brückenfreunde ist zu wesentlichen Teilen einer sehr geschickten Öffentlichkeitsarbeit zuzuschreiben. Verschiedenste Instanzen der Partei-, Kommunal-, Landes- und Bundespolitik arbeiteten mit den Verwaltungen Hand in Hand und formten das öffentliche Meinungsbild dahingehend, dass das aberwitzige Vorhaben bis zum heutigen Tage vorangetrieben werden konnte, ohne dass der moralische und kulturpolitische Bankrott der „bürgerlichen Parteien“ in der breiten Öffentlichkeit auch als solcher wahrgenommen wurde. Doch am Freitag ist man da offensichtlich ein wenig aus dem Tritt gekommen …
Die Information über die Entscheidung der UNESCO kam in der Nacht zum Freitag zeitig genug: Im Laufe des Tages konnte aber auch noch jeder der Brückenbau-Protagonisten sein mediales Ei legen und heftigst dazu gackern. Bemerkenswert an diesem Nachrichtenfeuerwerk war, dass es vollkommen unkoordiniert ablief. Jeder brachte vor, was ihm gegen die UNESCO und gegen den Elbtunnel gerade so einfiel. Dabei ist innerhalb kürzester Zeit so viel Unfug in Mikrofone geredet und auf Notizblöcke diktiert worden wie lange nicht. Dadurch wird die Widersprüchlichkeit der Rechtfertigungen für das Tun und Unterlassen der Brückenfreunde besser sichtbar. Ihr mühsam zusammengezimmertes Argumentationsgebäude zeigt nach dem neuerlichen Anschlag der „UNESCO-Dschihadisten“ tiefe Risse und schwere Verfallserscheinungen.
So unerfreulich der gesamte Vorgang ist, entbehrt er doch nicht einer gewissen Komik. Und das eröffnet zugleich auch ganz neue Perspektiven: Die deutsche Kabarett-Industrie wird Jahre brauchen, all das aufzuarbeiten. Das schafft Arbeitsplätze. Im folgenden nur einige besonders illustrative Steilvorlagen unserer prominentesten Brückenfreunde:
Arnold Vaatz
Der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete geifert vollkommen konzeptlos im Deutschlandradio. Seine Aussagen sind nur vordergründig ärgerlich, weil arrogant oder schlicht falsch. Im Grunde sind sie urkomisch, weil er so viel redet und so unglaublich wenig denkt.
Er argumentiert wie folgt gegen den Elbtunnel: „Man kann auch versuchen, die Elbe durch einen Tunnel von Berlin nach Prag zu überqueren. Das bedeutet dann allerdings für die Leute einen gewissen Umweg, den sie fahren müssen, um erst mal zum Tunneleingang zu kommen und dann vom Tunnelausgang zur Stadt zurückzukehren.“ – Aber Herr Vaatz! Von einem Tunnel zwischen Berlin und Prag war nie die Rede. Und selbst wenn das eines Tages der Fall wäre, würde man damit auf jeden Fall die Elbe unterqueren und nicht überqueren.
Arnold Vaatz fährt fort: „Das ist eine völlig unsinnige Überlegung, die in keiner Weise die Chance hat, realisiert zu werden – alleine aus der Tatsache heraus, dass beispielsweise die geotätige [O-Ton! Kein Tippfehler.] Lage der Stadt Dresden diesem Gedanken vollkommen widerspricht.“ Für einen Tunnel zwischen Berlin und Prag mögen Zweifel gerechtfertigt sein. Für den Elbtunnel in Dresden hingegen sind seit geraumer Zeit zumindest alle geodätischen (Tunnelneigung) und geologischen (Grundwasser) Probleme geklärt. Geotätige Probleme sind keine bekannt. Was ist überhaupt die „Geotätik“? Eine neue Parawissenschaft?
Hans-Joachim Brauns
Der CDU-Stadtrat verkündet im MDR-Fernsehen vor der Silhouette der Altstadt trotzig: „Dresden braucht den Titel nicht. Dresden ist Welterbe, auch mit der Brücke.“ – und dokumentiert so mit zwei Sätzen gleich zwei Denkfehler:
Einerseits bleibt er die Erklärung schuldig, warum sich Dresden dann seinerzeit so sehr um eben diesen Titel bemüht hat. In mehreren Anläufen. Und warum viele andere Städte (auch deutsche) dies bis heute tun.
Andererseits vermischt er zwei Dinge: Als Stadtrat darf er mit darüber entscheiden, ob in Dresden ein Ort mit Welterbequalitäten zerstört werden soll oder bewahrt wird. Es steht im gleichwohl nicht zu, darüber zu befinden, ob das Dresdner Elbtal dem Welterbe der Menschheit zugerechnet wird oder nicht. Das ist Aufgabe der UNESCO.
Wer bitte ist Herr Brauns aus Dresden? Herr Brauns ist einer, der in unseren Tagen die Erinnerung an den Ausspruch eines Franzosen aus dem Jahre 1846 wach hält: „Dresden ist eine kleine Stadt mit einem großen Maul.“
Nikolaus Köhler-Totzki
Sachsens ADAC-Chef gebührt alle Achtung ob seiner Verdienste um das Klima in der Stadt Dresden. Doch selbst angesichts der Tatsache, dass der ADAC vermutlich mehr Mitglieder in Dresden hat als alle politischen Parteien zusammen, sollte nicht übersehen werden, dass Nikolaus Köhler-Totzki dem Regionalverband eines Automobilclubs vorsteht.
Wer ist das denn, der nach seinen Worten in einer ddp-Meldung sagt: „Wir haben unsere eigenen Spielregeln und geben den [Welterbe-] Titel zurück.“ Der ADAC? Oder gibt er hier dem Stadtrat oder der Landesregierung eine Handlungsempfehlung? Für derartige kluge Ratschläge hat er von seinen Clubmitgliedern wohl genauso wenig ein „Mandat“ erhalten wie zu Verlautbarungen zur Gesundheits- oder Ausländerpolitik.
Es darf als ein Zeichen besonderen Formats gewertet werden, dass Helma Orosz eine der ersten aus dem politischen Raum ist, die sich diesen Vorschlag gleich zu eigen macht. Hätte sie nur bis Montag gewartet: In einem SZ-Interview erklärt die UNESCO-Tagungspräsidentin Christina Cameron: „Weder die Stadt noch die verantwortliche deutsche Seite kann eine Stätte von der Liste streichen lassen. Das ist gegen die Konvention. Das Welterbekomitee vergibt den Titel, und das Welterbekomitee entzieht ihn auch wieder.“
Helma Orosz
Die designierte CDU-Oberbürgermeisterin bekennt: „Ich bin erschüttert.“ Warum nur ist sie das? Auf den Schreck hätte sie sich vorbereiten können: Die Beschlussvorlage der UNESCO ist seit gut einem Monat bekannt. Seither verwunderte bereits, dass sie das Konzept „Wir bauen die Brücke fertig und überzeugen dann die UNESCO von deren Welterbeverträglichkeit“ unbeirrt weiter verfolgte. Diese Option bot sich bei der sich abzeichnenden Beschlusslage der UNESCO einfach nicht. Nun klagt sie in MDR-Info: „Man fordert uns auf, eine halbfertige Brücke in Gänze zu beseitigen, den Ursprungszustand wiederherzustellen und damit vollkommen auf eine Elbquerung zu verzichten.“ Was sagt uns das? Helma Orosz hat weder die Beschlussvorlage noch den Beschluss der UNESCO auch nur ansatzweise verstanden. Warum erklärt ihr das niemand? Von einem vollkommenen Verzicht auf eine Elbquerung war nie die Rede – im Gegenteil: Die UNESCO empfiehlt den Elbtunnel.
Wenn sie im übrigen die ach so hohen Kosten für den Rückbau einer halbfertigen Brücke beklagen, sollten neben Helma Orosz alle politisch und verwaltungstechnisch für den Brückenbau Verantwortlichen an eines erinnert werden: Derzeit werden in allergrößter Hast Betonbauarbeiten für die Brücke ausgeführt – ein halbes Jahr vor dem ursprünglichen Bauablaufplan –, allein um Tatsachen zu schaffen. Dabei ist schon heute klar, dass sich der Stahlbau der Brücke wegen der Stahlknappheit auf dem Weltmarkt um ein Jahr verzögern wird. Zudem beruht das Baurecht auf gerichtlichen Eilentscheidungen. Das erste Hauptsacheverfahren läuft gerade erst an. Hier werden derart grundlegende Fragen zum Planfeststellungsverfahren (z.B. zur unvoreingenommenen Alternativenabwägung und der angemessenen Berücksichtigung des Naturschutzes) behandelt, dass vollkommen offen ist, ob nicht noch auf diesem Wege der gesamte Brückenbau gekippt wird. Wenn das geschieht, werden einige Leute sehr genau erklären müssen, warum sie ohne Not aber in solcher Eile Steuergelder in Millionenhöhe im Elbekies vergraben haben.
Lars Rohwer
Der Dresdner CDU-Vorsitzende formuliert in einer Pressemeldung: „Die UNESCO fordert eine exorbitante Verschwendung von Steuergeldern. Bisher sind bereits über € 36 Mio. verbaut. Bei einem Rückbau kommen auf den städtischen Haushalt zusätzliche Kosten für Rückbau, Entschädigungen der Unternehmen und Rückzahlung von bereits ausgegebenen Fördergeldern in der Summe von über € 60 Mio. zu. Im Ergebnis bedeutet die UNESCO-Entscheidung den Verlust von Steuergeldern von mind. € 101 Mio. Die Tunnelvariante wird, bei vollkommen unklarer Finanzierung, noch einmal über € 100 Mio. teurer als die im Bau befindliche Brückenvariante.“
Es ist geradezu atemberaubend, wie Lars Rohwer hier mit Millionenbeträgen jongliert. Und es ist ein neuer Rekord! Die Brückenfreunde überbieten sich seit langem gegenseitig mit Angaben zur Höhe der vermeintlichen Mehrkosten der Tunnelalternative. Die Höchstgebote lagen zuletzt bei ca. € 100 Mio. Nun nimmt Lars Rohwer gleich einen richtigen Schluck aus der Pulle: € 201 Mio. Verglichen damit nimmt sich die Angabe des von der Landeshauptstadt bestellten Gutachters im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Dresden in der vergangenen Woche geradezu erbärmlich aus: Er spricht von € 29 … 36 Mio.
Wie kommt es zu dem Unterschied? Ganz einfach: Der eine ist Fachmann und nennt vor Gericht eine Zahl, auf die er festgenagelt wird. Der andere ist Politiker und stellt einfach mal eine Behauptung in den Raum. Deren Wahrheitsgehalt ist vollkommen irrelevant. Es kommt auf ihre Wirkung an.
Was man kaum hört …
… scheint hingegen am interessantesten. In dieser unglaublichen Kakophonie sind ein paar stille Worte fast untergegangen: Durch die Entscheidung der UNESCO eröffnet sich eine „Pause zum Denken“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wohl gemerkt: Nach ihren Worten handele es sich nicht um eine Denkpause (d.h. einen Aussetzer wie am Freitag), sondern um eine „Pause zum Denken“.
Möge sie erhört werden!