Frau Orosz und die Demokratie …
18. September 2008
Brief von Helma Orosz
vom 26. August 2008
im Original (Seite 1 und 2)
Welterbe – Die Waldschlößchenbrücke
Sehr geehrter Herr Bandarin,
nur wenige Meter vom Dresdner Rathaus demonstrierten im Herbst 1989 viele Dresdner Bürger für Freiheit und Demokratie. Nach vierzig Jahren Despotie kämpften sie schließlich Auge in Auge mit der Staatsgewalt dafür, dass die Stimme der Menschen gehört wird. Mit dem Hintergrund dieser Erfahrung werden die Dresdner Behörden noch immer daran gemessen, wie sie mit dem Willen des Volkes umgehen.Jede politische Entscheidung, ob im Deutschen Bundestag oder in der Assemblée Nationale, ob in Paris oder in Berlin, basiert auf dem Konzept des Volkes als Souverän. Und jeder Politiker im Amt, ob der Französische Präsident, die Deutsche Bundeskanzlerin oder selbst die Oberbürgermeisterin von Dresden ist an dieses demokratische Grundprinzip gebunden.Demokratie wird nicht nur in grundlegenden Entscheidungen in Parlamenten oder Komitees lebendig. Am ehesten wird die Lebendigkeit von Demokratie sichtbar in Entscheidungen mit direktem Bezug zu den Menschen, genau da, wo sie leben, mitten in ihrer Stadt.
Die Entscheidung zur Waldschlößchenbrücke ist eine solche. Die Bürger von Dresden haben sich in einem Referendum klar für eine solche Brücke ausgesprochen. Aus diesem Grund kann die große Mehrheit der Bürger bis heute nicht verstehen, warum ihr klares Votum nur eine untergeordnete Rolle in der Diskussion um den Welterbetitel spielt.
Durch meine vielen Gesprächen mit den Menschen in der Landeshauptstadt Dresden wird mir ihre Frustration und Verärgerung über diese Entwicklung immer deutlicher. Umfragen liefern immer das gleiche, deutliche Bild. Die Dresdner wollen diese Brücke. Die Dresdner lieben die Einzigartigkeit des Elbtals. Und sie sind davon überzeugt, dass beides in Einklang gebracht werden kann.
Mit Blick auf diese Tatsachen und auch im Hinblick auf unsere Erfahrungen in den Tagen der Friedlichen Revolution, stehe ich als die neu gewählte Oberbürgermeisterin ganz besonders in der Pflicht.
Es ist meine Pflicht, den Willen der Bürger zur Grundlage meiner politischen Entscheidungen zu machen. Es ist meine Pflicht, eine Lösung zu finden, die die Brücke und den Welterbestatus in Einklang bringt.
Aus diesem Grund möchte ich gern den bereits veränderten Brückenentwurf mit Ihnen in Paris diskutieren. Zuallererst möchte ich als neu gewählte Oberbürgermeisterin von Dresden Sie aber davon überzeugen, wie wichtig die Brücke und der Welterbestatus für die Menschen in Dresden sind.
Der deutsche Soziologe Max Weber sagte einmal: „Politik ist das Bohren dicker Bretter mit Augenmaß und Leidenschaft zugleich.“ Lassen Sie uns diese Herausforderung gemeinsam annehmen: Lassen Sie uns eine neue Grundlage für die Diskussion suchen, mit Augenmaß und Leidenschaft. Geben Sie den Menschen in Dresden die Chance, ihre Interessen klar zu machen. Bohren wir gemeinsam dieses dicke Brett, die Waldschlößchenbrücke. Aus diesem Grund würde ich mich über ein Einladung zu einer Diskussion in Paris sehr freuen.
Mit Blick auf die Dringlichkeit der Angelegenheit nehme ich mir die Freiheit, dieses Schreiben direkt an Sie zu senden. Natürlich habe ich auch einen Brief auf diplomatischem Wege an Sie gerichtet.
Mit freundlichen Grüßen
Helma Orosz