Frau Orosz und die Demokratie …
18. September 2008
Brief von Ralf Weber
vom 7. September 2008
im Original
Welterbestätte Dresdner Elbtal – Reaktion auf das Schreiben von Oberbürgermeisterin Orosz vom 26.08.2008
Sehr geehrter Herr Direktor Bandarin,
als Vertreter der verschiedenen NGOs, die sich um den Erhalt des Welterbe Dresdner Elbtal bemühen, und der Bürgerinitiative zum Bürgerbegehren Tunnelalternative bin ich beauftragt das Schreiben der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz vom 26. August an Sie zu kommentieren.
Als die Bürgerschaft 1989 in Dresden und anderswo in Ostdeutschland für ein neues politisches System demonstrierten, versammelten sie sich auch für demokratische Rechte. Eines der Grundprinzipien der Demokratie ist es, dass Veränderungen fester Bestandteil eines Prozesses sind. Wurden politische Entscheidungen einmal getroffen, sind sie keineswegs unveränderlich in Stein gemeißelt. Das ist der Grund dafür, dass alle paar Jahre Wahlen abgehalten werden, dass Gesetze an eine veränderte Lage angepasst werden und dafür, dass die Gesetze in den meisten deutschen Ländern die Bindungsfrist von Bürgerentscheiden auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen. Dieses Verfahren stellt sicher, dass ein neues Referendum durchgeführt werden kann, wenn die Umstände sich ändern oder ein politischer Wille sich entwickelt.
Es ist richtig, dass eine Mehrheit der Dresdner, die 2004 am Bürgerentscheid zur Waldschlößchenbrücke, der vom ADAC vorangetrieben wurde, teilnahmen, für eine Brücke über die Elbe votierten. Es ist auch wahr, dass nur 51% der Wahlberechtigten am Bürgerentscheid teilnahmen und darüber hinaus, dass die Frage nach einer Tunnelalternative zu dieser Zeit nicht zulässig war.
Unglücklicher Weise vergisst die Oberbürgermeisterin in ihrem Schreiben zu erwähnen, dass die Bindungsfrist des Referendums im Februar 2008 abgelaufen ist und daher die Wähler zu einem erneuten Bürgerentscheid in der Angelegenheit aufgerufen werden können.
Es ist darüber hinaus ein grobes Versehen, dass das Schreiben der Oberbürgermeisterin die starke Bürgerbewegung für ein zweites Referendum, diesmal für die Tunnelalternative, nicht erwähnt. Annähernd das Dreifache der erforderlichen Unterschriften für einen Bürgerentscheid zur Tunnelalternative wurden zwischen Februar und April 2008 gesammelt. Der Tunnel würde es erlauben, den außergewöhnlichen Wert des Ortes zu erhalten und gleichzeitig dem Verkehr eine Flussquerung ermöglichen.
Schließlich ist es besonders bemerkenswert, dass die Oberbürgermeisterin, die in ihrem Schreiben der Demokratie und dem Willen der Bürger so viel Bedeutung beimisst, es versäumt darauf hinzuweisen, dass der Dresdner Stadtrat jüngst zwei mal für die Zulässigkeit eines neuen Bürgerentscheids zum Elbtunnel stimmte und das der damals amtierende Oberbürgermeister zwei mal sein Veto gegen die Entscheidung des Stadtrats einlegte. Derzeit liegt die Angelegenheit bei den Gerichten.
Aus diesen Gründen muss das Plädoyer der Oberbürgermeisterin für den demokratischen Prozess mit kritischen Augen gesehen werden, weil ihr Schreiben nur einen Teil der Geschichte erzählt. Es ist eine grobe Verletzung demokratischer Prinzipien, die Stimmen von 55 Tausend Dresdnern zu ignorieren, die eine Petition für einen neuen Bürgerentscheid unterzeichneten, und die wachsende Frustration eines großen Teils der kulturellen und wissenschaftlichen Elite der Stadt auszublenden, die wiederholt an die Stadt, das Land und die Bundesregierung appelliert hat, den Weg für einen Kompromiss freizumachen. Die Unterschriften vieler prominenter Bürger zum sogenannten „Dresdner Appell“ sind im Internet zu finden.
In ihrem Schreiben verweist die Oberbürgermeisterin auf ihre Verpflichtung gegenüber den Dresdnern. Es ist in der Tat die Pflicht der Oberbürgermeisterin, eine Lösung zu finden, die eine Verkehrsverbindung über die Elbe genauso erlaubt wie den Erhalt des Welterbetitels. Es ist auch die Aufgabe der Oberbürgermeisterin, an die über 55.000 Dresdner zu denken, die ihre Unterschrift für ein neues Referendum zum Elbtunnel leisteten, denn nur mit einem Tunnel wird dieser Kompromiss möglich.
In ihrem Schreiben erwähnt die Oberbürgermeisterin Zeitungsumfragen, die darauf hindeuten, dass eine Mehrheit der Dresdner genau diese Brücke will. Wenngleich diese Umfragen das tatsächlich nahelegen, erwähnt die Oberbürgermeisterin eine repräsentative, wissenschaftliche Umfrage nicht, die kürzlich vom Lehrstuhl für Empirische Studien in der Soziologie an der Dresdner Universität durchgeführt wurde, die eine deutliche Präferenz für den Elbtunnel zeigt, vorausgesetzt, dass die Mehrkosten von der Deutschen Bundesregierung übernommen werden. Da ein Zeuge, der von der Stadt im laufenden Gerichtsverfahren aufgerufen wurde, erst kürzlich die technische Machbarkeit des Tunnelprojekts bestätigte (das tatsächlich von der städtischen Planungsabteilung im Jahr 2003 selbst entwickelt wurde) und da der Sächsischen Staatsregierung in mehreren Schreiben der Bundesministers für Verkehr zugesichert wurde, dass Bundesmittel verfügbar gemacht würden, wenn der Titel bewahrt wird; werden genau die Bedingungen eingehalten, unter denen eine Mehrheit der befragten Dresdner für den Elbtunnel stimmt. Mithin ist es keineswegs der erklärte Wille einer Mehrheit der Dresdner, dass genau diese Brücke gebaut werden muss.
Max Weber hatte recht: es braucht Augenmaß und Leidenschaft um die dicken Bretter der Politik zu bohren. Die Bürgerinitiativen, die über Jahre für einen Kompromiss gekämpft haben, der eine Flussquerung für den Verkehr erlaubt aber die einmalige Schönheit dieser außergewöhnlichen Symbiose von Innenstadt und natürlicher Landschaft erhält, sollten tatsächlich gelobt werden für ihr Augenmaß und ihre Leidenschaft, mit der sie sich einer Zerstörung eines der wenigen Orte des historischen Dresdens, der von der Bombardierung verschont geblieben ist, widersetzt haben.
In ihrem Schreiben bittet die Oberbürgermeisterin um ein Treffen mit Ihnen in Paris. Wir bitten Sie, eine solche Einladung auszudehnen auf Vertreter der Bürgerinitiativen und Mitglieder jener politischen Parteien im Stadtrat, die sich über Jahre für einen Kompromiss eingesetzt haben, der eine Erhaltung des einzigartigen und universellen Wertes des Dresdner Elbtals sichert und damit des Welterbetitels.
Immer wieder haben wir an die Oberbürgermeisterin appelliert, sich mit diesen Gruppen zu treffen, aber vergebens. Ein gemeinsames Treffen im UNESCO-Hauptquartier würde Gelegenheit bieten, einen Dialog zu eröffnen, den die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel empfohlen hat, nachdem sie die Entscheidung auf der 32. Sitzung des Welterbekomitees begrüßte.
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Ralf Weber
für
Welterbe Erhalten
Bürgerbegehren Tunnelalternative am Waldschlösschen
BUND Kreisgruppe Dresden (Bund für Naturschutz und Umwelt Deutschland)
Grüne Liga Sachsen
Fachrat Dresdener Welterbe