Lebendige Demokratie vor Gericht
12. Oktober 2008
Am 29.09.2008 fällte das Sächsische Oberverwaltungsgericht den Beschluss, dass die Landeshauptstadt Dresden nicht zur vorläufigen Zulassung des Bürgerbegehrens „Welterbe erhalten durch Elbtunnel am Waldschlößchen“ verpflichtet ist. In der Begründung des Beschlusses heißt es: „Es sei nicht offensichtlich, dass das Bürgerbegehren insgesamt zulässig sei.“
Dieser Beschluss bedeutet erst einmal nur, dass unser Bürgerentscheid nicht im Eilverfahren herbeigeführt werden kann. Über seine Zulässigkeit wird im Hauptsacheverfahren endgültig entschieden. Nach wie vor vertreten wir die Auffassung, dass die gegen das Bürgerbegehren vorgebrachten Gründe nicht zutreffend sind.
Im übrigen sind zwei Dinge bemerkenswert:
Die Gleichzeitigkeit von Ereignissen
kann ein Zufall sein.
Muss aber nicht.
Exakt am Tag der Beschlussfassung des Oberverwaltungsgerichts, dem 29.09.2008, weist auch die Landesdirektion (das ehemalige Regierungspräsidium) den Widerspruch der Landeshauptstadt Dresden gegen seine eigene Unzulässigkeitserklärung zum Bürgerbegehren zurück. Das ist interessant, denn in der Sache war gut ein Vierteljahr nichts zu vernehmen und die Landesdirektion sollte an sich vom Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erst durch dessen Pressemitteilung vom 08.10.2008 erfahren haben.
Das soll keineswegs den Schluss nahelegen, in Sachsen würden die Exekutive (sprich: Landesregierung und Landesdirektion) und die Judikative (sprich: Oberverwaltungsgericht) ihr Vorgehen gegen unser Bürgerbegehren abstimmen und damit gegen das Grundprinzip der Gewaltenteilung verstoßen. Diese Gleichzeitigkeit ist ganz gewiss ein Zufall. Ungewöhnlich ist nur, dass wir gerade eine gewisse Häufung derartiger Zufälligkeiten beobachten.
Dieser Vorgang bietet zudem eine gute Gelegenheit, die juristischen Auseinandersetzungen in einen politischen Zusammenhang zu stellen:
Zunächst einmal wissen wir, dass zu einem beliebigen Sachverhalt schon ein einzelner Jurist mindestens zwei gegensätzliche Standpunkte vertreten kann. Kommen weitere Juristen hinzu, wird die Sache immer weniger übersichtlich. In der Auseinandersetzung um das Bürgerbegehren wimmelt es geradezu von Juristen.
Nun liegt es in der Natur der Sache, dass Bürgerbegehren vor allem dann entstehen, wenn über eine Entscheidung oder Entwicklung geteilte Meinungen existieren. Stellen sich die Bürger mit ihrem Begehren nun gegen die Position der Verwaltung oder Regierung, haben sie mächtige Gegenspieler. Diese werden, wenn sie nur wollen, immer einen Grund finden, warum das Begehren der Bürger unzulässig sein könnte. – Und wenn sie nicht wollen, können sie es genau so gut lassen: Der Hinweis, dass das Bürgerbegehren zur Waldschlößchenbrücke von 2005 ebenso angreifbar gewesen wäre, ist sehr wohl begründet. Angegriffen wurde es nicht, denn seine Stoßrichtung war der Landesregierung willkommen.
Ob unser Bürgerbegehren eines Tages einmal für zulässig erklärt werden sollte, ist indes vollkommen unerheblich, denn eines ist sicher: bis dahin wird noch viel Wasser die Elbe hinunterfließen. Und dazu braucht man den Gerichten nicht einmal eine Verschleppung der Verfahren vorzuwerfen. Der Sachverhalt ist schwierig und wird gezielt verkompliziert. Die Auseinandersetzung damit braucht nun einmal ihre Zeit. Doch schon damit ist den Gegnern unseres Bürgerbegehrens geholfen, denn zwischenzeitlich werden so lange Tatsachen geschaffen, bis der Bürgerentscheid an sich obsolet geworden ist.
Das alles lässt Bürgerbegehren und Bürgerentscheide als Ausdrucksform gelebter Demokratie in einem zwiespältigen Licht erscheinen. Praktisch funktionieren sie dann, wenn sie nicht im Widerspruch zur Position von Behörden oder Politik stehen. Tun sie das hingegen, gibt es oft unzählige Möglichkeiten, ein Bürgerbegehren auf formaljuristischem Wege zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern.
Man kann zu spät kommen
und gleichzeitig zu früh da sein.
Wie geht das? Ganz einfach: Man initiiert ein Bürgerbegehren „Welterbe erhalten – Elbtunnel bauen“ in Dresden.
Das Oberverwaltungsgericht meint in seiner Begründung: „Es sei schon sehr zweifelhaft, ob das … Bürgerbegehren … binnen 2 Monaten nach der angegriffenen Beschlussfassung eingereicht worden sei. Es spreche viel dafür, dass sich der Stadtrat zuletzt am 12.6.2007 für den Bau der Waldschlösschenbrücke ausgesprochen habe.“ Weiter heißt es: „Die Zweimonatsfrist könne auch nicht im Hinblick auf eine drohende Aberkennung des Weltwerbetitels als gewahrt angesehen werden. Diese Aberkennung drohe spätestens seit dem Beschluss des Welterbekomitees vom 11.7.2006.“
Kurzum: Der Antrag auf Durchführung des Bürgerbegehrens wurde erst am 11.03.2008 übergeben – und damit schlicht zu spät.
Die Landesdirektion argumentiert ähnlich und meint zudem in ihrer Begründung: „Das erforderliche Unterstützungsquorum wird nicht erreicht, da die meisten der zum Tunnelbegehren vorgelegten Unterschriften vor Ablauf der durch den Bürgerbescheid zur Waldschlößchenbrücke vom 27.02.2005 ausgelösten dreijährigen Sperrfrist geleistet wurden und somit nicht verwertbar sind.“
Kurzum: Die Unterschriften zum Bürgerbegehren wurden schon vor dem 28.02.2008 gesammelt – und damit schlicht zu früh.
Juristisch mag das eine wie das andere Urteil begründbar sein. Interessant wäre es aber zu erfahren, wie insbesondere die politisch Verantwortlichen vom Freistaat Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden dies ihren Wählern erklären wollen. Vergessen wir nicht: Hier wird über das lebendige, bürgerschaftliche Engagement der Dresdner für ihre Heimatstadt Urteil gefällt. 50.000 Bürger unterstützen mit ihrer Unterschrift das Bürgerbegehren. Und seit der jüngsten, repräsentativen Umfrage der TU Dresden wissen wir auch, dass die Dresdner weitaus differenzierter über die Themen Waldschlößchenbrücke, Welterbeverlust und Tunnelalternative denken als man das gemeinhin glauben machen möchte. Unter Voraussetzungen, die durchaus gegeben sind, spricht sich sogar eine Mehrheit von 54% für den Elbtunnel aus.
Kurzum: Die in der Angelegenheit maßgeblich Verantwortlichen in Landeshauptstadt und Freistaat – im übrigen praktisch ausschließlich Mitglieder der CDU (wer es vergessen haben sollte oder nicht glauben mag: CDU steht für Christlich Demokratische Union) – sorgen bewusst dafür, dass der erklärte Wille einer erheblichen Zahl Dresdner Bürger (wenn nicht gar einer Mehrheit) in juristischen Verfahren zerrieben und damit politisch missachtet wird.
So viel zum Thema „Lebendige Demokratie vor Gericht“.
Entdeckt auf dem
Platz der Grundrechte in Karlsruhe