Hintergründe des Dresdner Welterbekonfliktes
13. November 2008
Ein Beitrag von
Dr. Eberhard Renner und dem
Fachrat Dresdner Welterbe
Die Hintergründe des Dresdner Welterbekonfliktes – und ein Vorschlag zu seiner Lösung
Die Zielstellung des Freistaates Sachsen bei der Antragstellung im Jahre 2002 lautete: Die UNESCO soll die Brücke bedingungslos akzeptieren. Andernfalls, so die damalige Botschaft an die UNESCO, werde ein Antrag auf die Zuerkennung des Titels „Welterbe Dresdner Elbtal“ gar nicht erst gestellt. Dieses Ziel konnte nicht erreicht werden: Der Konzeptbaustein „Brücke akzeptieren“ war für die UNESCO rechtlich und verfahrenstechnisch nicht annehmbar. Die UNESCO war und ist nicht berechtigt, eine „blinde Zusage“ zu machen. Ihr Handeln basiert ausnahmslos auf Fachgutachten und festgeschriebenen Verfahrensschritten.
Also lautete die modifizierte Zielstellung der Sächsischen Landesregierung: Konzept „Beeinflussung der Fachgutachter“ anwenden. Drei Fachgutachter der internationalen Denkmalorganisation ICOMOS, die bereits zu DDR-Zeiten mit der Dresdner Denkmalpflege zusammengearbeitet hatten, wurden von Sachsen frühzeitig für den Dresdner Antrag und das Tolerieren der Brücke gewonnen. So konnte Sachsen die sonst übliche eigenständige Benennung der Vorgutachter durch ICOMOS umgehen.
Die Gründe für das Tolerieren der Brücke erklärt die Gutachterin Friedrich auf einer Podiumsdiskussion im George-Bähr-Forum der TU Dresden im Jahre 2007: „Natürlich haben wir ein Auge zugedrückt, denn wir wollten dem Dresdner Anliegen doch keine Steine in den Weg legen.“ Dass es Alternativen zur Brücke gab, zahlreiche Tunnelvarianten, deren Machbarkeit bereits in den Jahren 1996, 2002 und 2003 nachgewiesen wurde, aber auch alternative Brückenstandorte, wurde den Gutachtern damals verschwiegen. Auch das Ausmaß der Brücke wurde ihnen nicht deutlich gemacht. Der Vorgutachter Jukka Jokilehto sagt bei der gleichen Veranstaltung: „Allerdings muss ich sagen, dass mir das ganze Ausmaß an Beeinträchtigung der Integrität der Elblandschaft durch die geplante Waldschlösschenbrücke damals nicht bewusst war. Bei meinem Besuch in Dresden im Herbst 2003 war zwar der Bau der Brücke beschlossene Sache, doch das Planfeststellungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Ich habe mir den Brückenstandort vom Raddampfer aus angesehen, auch Visualisierungen des Brückenprojektes und die Zielsetzung des Brückenwettbewerbs von 1997 zur Kenntnis genommen. Detaillierte Planungen aus dem Planfeststellungsverfahren wurden mir damals jedoch nicht vorgelegt.“
Das UNESCO-Antragsverfahren beinhaltete neben dem Element „Vorgutachten” eine zweite Hürde: Die Vorlage des Antrages zur Jahrestagung des UNESCO-Welterbekomitees, auf der 21 Delegierte aus unterschiedlichen Ländern das Dokument diskutieren und über die Anerkennung des Welterbetitels abstimmen. Dabei sind die Delegierten frei in ihrer Meinungsbildung und müssen nicht den Empfehlungen der Vorgutachter von ICOMOS oder dem Standpunkt des Pariser Welterbezentrums folgen.
Um auch diese Hürde zu nehmen, hat die Sächsische Landesregierung in den eingereichten Tagungsunterlagen die Ausführungen zur Waldschlößchenbrücke auf ein Minimum reduziert und wesentliche Eckdaten wie folgt modifiziert:
- Die Visualisierung in Richtung Elbbogen erfolgte so, dass nicht die wiederentstandene Frauenkirche, sondern der vormalige Zustand abgebildet war. Bei diesem war am Horizont ein rauchender Fabrikschornstein zu sehen.
- Statt der einzigartigen Auenlandschaft wurde eine bis 1999 oberhalb der Elbwiesen vorhandene Kleingarten-Sparte gezeigt.
- In der Beschreibung wurde die Lage der Brücke am westlichen Rande des Welterbegebietes angegeben statt in seinem räumlichen Zentrum.
- Im Stadtplan wurde die Brücke als solche nicht namentlich kenntlich gemacht. So war sie nur eine unter fünf langfristig geplanten, namenlosen Flussquerungen.
Das Ergebnis war zu erwarten: Die Delegierten haben an Hand der Unterlagen nicht erkennen können, dass zwischen Brücke und Welterbe ein Konflikt besteht. So folgten sie den Empfehlungen der Vorgutachter und stimmten im Juli 2004 auf ihrer 29. Jahrestagung in Suzhou/China für die Zuerkennung des Welterbetitels.
Es folgte die Aufdeckung der unsauberen Antragstellung und das Inkrafttreten der vorgeschriebenen UNESCO-Regularien zur Bewahrung des Welterbes. Der weltweite Protest von Fachleuten und lokalen Wissensträgern gegen die unsaubere Verfahrensweise war auch in Paris nicht zu überhören. Da die UNESCO für einen solchen Fall an vorgeschriebene Verfahrensregeln gebunden ist, hat sie im September 2005 die Anwendung dieser Regeln verfügt.
- Der erste Schritt sah ein erneutes Fachgutachten vor, dessen Basis eine wissenschaftlich korrekte Analyse des Stadt- und Landschaftsbildes sowie eine umfassende Auswertung der Dokumente des Planfeststellungsverfahrens war.
- In einem vorgeschriebenen Auswahlverfahren loste die Dresdner Verwaltungsspitze unter fünf anonymen Gutachtern die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen aus.
- Das Gutachten wurde von Februar bis April 2006 unter Mithilfe der Dresdner Stadtverwaltung erstellt. Im Ergebnis stellt der Gutachter fest: Der Bau der Waldschlößchenbrücke und die Erhaltung des Dresdner Welterbes sind miteinander nicht vereinbar.
Im Vorfeld der 30. Jahrestagung des UNESCO-Welterbekomitees fordert das Pariser Welterbezentrum ein weiteres Gutachten bei der internationalen Denkmalorganisation ICOMOS an. Auch hier wird das gleiche wissenschaftliche Ergebnis erzielt: Brücke und Welterbe sind miteinander nicht vereinbar. Auf Basis der beiden Gutachten hat das Welterbekomitee im Juli 2006 (30. Jahrestagung in Vilnius) das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzt und Deutschland aufgefordert, der UNESCO alle in der Vergangenheit untersuchten Alternativen zur geplanten Brücke vorzulegen, insbesondere die Tunnelvarianten.
So kam es zu Plan B des „Pro-Brücke-Lagers“: Die UNESCO sollte diskreditiert werden. Die Verärgerung darüber, dass das Konzept der beeinflussten Antragstellung nicht aufgegangen war, führte das politische Lager der Brückenbefürworter noch enger zusammen. Deren rigoroses Vorgehen zugunsten des Brückenbaues löste Befremden vor Ort, in Deutschland und in der Welt aus. Plan B dieses politischen Lagers sah offenbar vor, der UNESCO Unredlichkeit und Willkür zu unterstellen und die Aberkennung des Welterbetitels als nicht nachteilig darzustellen.
Begleitet durch eine unkritische lokale Presse hat das politische Pro-Brücke-Lager im Jahre 2005 die öffentliche Meinung derart zu Gunsten des Brückenbaues beeinflussen können, dass ein von ihm initiiertes Referendum im Gegensatz zu der gegen die Brücke votierenden Stadtratsmehrheit für die Brücke ausging.
Daneben war es für das Pro-Brücke-Lager hilfreich, dass die sächsische Justiz die Gerichtsverfahren zu 49 Klagen gegen die Waldschlößchenbrücke auf die lange Bank geschoben hat. Erst heute, drei Jahre nach Einreichung der Klagen und einer nunmehr seit elf Monaten im Bau befindlichen Brücke, laufen die Hauptsacheverfahren an.
Mit dem Regierungspräsidium (der heutigen Landesdirektion) als verlängertem Arm hat das politische Pro-Brücke-Lager den Dresdner Stadtrat, der sich 2007 und auch noch 2008 mehrheitlich für das Welterbe und gegen eine das Welterbe zerstörende Brückenlösung aussprach, entmündigt und den Bau der Brücke per Ersatzvornahme anordnen lassen.
Die Verärgerung des politischen Pro-Brücke-Lagers über das gescheiterte Verschleierungskonzept der Antragstellung verstärkte sich weiter, als die UNESCO auf ihrer 32. Jahrestagung in Quebec den deutschen Vertragsstaat aufforderte, den begonnenen Brückenbau zu stoppen und endlich dem Alternativprojekt Tunnel entgegenzusehen, für das sich 2008 über 50.000 Dresdner in einem Bürgerbegehren ausgesprochen hatten. So verschärfte das politische Pro-Brücke-Lager seit Juli 2008 seine Angriffe auf die UNESCO, deren Verwaltungsspitze man als undemokratisches, selbstherrliches und von antidemokratischen Kräften instrumentalisiertes Gremium bezeichnete.
Wie kann eine Lösung des Konfliktes aussehen?
Der nunmehr angezeigte Weg besteht darin, dass sich Deutschland als Vertragsstaat für die bisherige Handlungsweise des Freistaates Sachsen bei der UNESCO entschuldigt und in konstruktive Verhandlungen zur Lösung des Konfliktes eintritt. In diesem Sinne sollte auch die Bundesregierung umgehend aktiv werden und die geplanten weiteren Gespräche der Dresdner Oberbürgermeisterin mit dem Pariser Welterbezentrum diplomatisch, konstruktiv und lösungsorientiert begleiten. Dabei sollten die aktuellen Ausarbeitungen der TU Dresden, die über die Tunnelalternative Auskunft geben, zugrunde gelegt werden.
Noch immer ist der begonnene Brückenbau, der zu zwei Dritteln aus Zufahrtstunneln besteht, in einen Volltunnel zuzüglich einer Fußgänger- und Fahrradbrücke zwischen den Elbradwegen wandelbar, ohne dass die dadurch entstehenden Mehrkosten den Zehnprozent-Bereich des Gesamtvorhabens überschreiten. Nachdem nun die Bindefrist des Bürgerentscheides von 2005 abgelaufen ist, kommt dem Dresdner Stadtrat die Mission zu, die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zum Erhalt des Welterbes per Tunnelbeschluss umzusetzen.
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