Das Sisyphus-Projekt
15. November 2008
Dem Kreisvorsitzenden der CDU Dresden, Lars Rohwer, verdanken wir ein unfreiwilliges Bonmot: In seiner Rede am 13.11.2008 im Sächsischen Landtag zum Antrag „Welterbe Dresdner Elbtal retten!“ der bündnis-grünen Fraktion sagte er:
Der Streit um den Bau der Waldschlößchenbrücke erinnert mich immer mehr an den Mythos von Sisyphus. Der König von Korinth, wurde von den Göttern dazu verdammt einen Felsbrocken einen Berg hochzuschieben, nur um ihn dann wieder nach unten stürzen zu sehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Projekt Waldschlößchenbrücke darf nicht zum Mythos werden.
Denn wie auch Sisyphus es schafft, nach vielen Tagen des eifrigen Kletterns den Gipfel zu erreichen, werden auch wir unseren Weg weiterverfolgen.
Ich sage ihnen hier im Hohen Haus noch einmal verbindlich, dass auch unsere Anstrengungen belohnt werden und nicht umsonst waren. Am Ende des Mythos betrachtet Sisyphus den Felsen und denkt sich, was für ein schöner Felsen es sei.
Und wie vollkommen er in seine Umgebung passt. Dieser Augenblick sollte ewig währen!
Nun muss man in der griechischen Mythologie nicht einmal sonderlich bewandert sein – es genügt schon ein kurzer Blick in Wikipedia, um festzustellen, dass an dem Sisyphus-Bild etwas nicht stimmt:
Zunächst einmal war Sisyphus ein notorischer Krimineller (Geheimnisverrat, Entführung, Freiheitsberaubung, Mord). Die Götter konnten seinem unsäglichen Treiben auf Erden erst nach mehreren Anläufen ein Ende setzen. Die Strafe, die ihm schließlich in der Unterwelt zugedacht wurde, war denkbar hart. In der Odyssee heißt es dazu:
Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.
Das Schlimme an dieser Strafe ist deren Sinnlosigkeit: Im Unterschied zur etwas missglückten Homer-Interpretation Rohwers muss Sisyphus tatsächlich immer wieder aufs Neue und immer wieder erfolglos versuchen, den Stein über die Kuppe des Hügels zu werfen – und das bis in alle Ewigkeit.
In diesem Sinne können die Welterbefreunde nur hoffen, dass der Bau der Waldschlößchenbrücke tatsächlich eine Sisyphusarbeit ist.
Bei aller (unfreiwilligen) Komik sollte aber die eigentliche Tragik des Vorfalls nicht übersehen werden: Es gibt in der Dresdner CDU offensichtlich niemanden, der in der Lage wäre zu verhindern, dass ihr Chef Lars Rohwer einen solchen Unsinn erzählt. Im Sächsischen Landtag!
Sisyphus-„Denkmal“ in Wrocław