Aufruf
25. November 2008
Aufruf
an alle Entscheidungsträger
in der Landeshauptstadt
und der Landesregierung
die für den Bau der Waldschlößchenbrücke
direkt oder indirekt
verantwortlich zeichnen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir haben den dringenden Wunsch, Ihnen einige Gedanken darzulegen, die angesichts des so rücksichtlosen Vorgehens zur Durchsetzung des Brückenbauprojektes von Dresden nicht nur uns beschäftigen und zutiefst bedrücken, sondern gleichermaßen eine große Zahl von Dresdnern. Es sind gebildete Bürger, denen nicht nur die Pflege unserer Kultur- und Baukulturgüter am Herzen liegt, sondern ebenso ein verantwortungsbewusster, sorgsamer Umgang mit dem kostbaren und so leicht verletzbaren Bestand unserer Jahrhunderte alten Kulturlandschaft.
Wir vertrauen darauf, dass tatsächlich gilt, was seit der politischen Wende und Wiedervereinigung immer wieder betont wird: es herrsche nun Meinungsfreiheit. Meinungsvielfalt sei willkommen, abweichende Meinungen würden respektiert und nicht geahndet. Sie seien wesentlicher Ausdruck der nun herrschenden freiheitlich demokratischen Ordnung, Meinungsvielfalt fördere die demokratische Willensbildung, sie eröffne den Weg zu den bestmöglichen Entscheidungen, die vom Willen und Wollen der Gesellschaft formuliert und getragen werden. Zwischen Bürgern und Regierenden gelte ein freier, freimütiger und vor allem aufrechter, in jedem Fall unbehelligter Austausch von Auffassungen. Dazu gehöre natürlich auch die Möglichkeit des kontroversen Dialogs.
Sind die Verhältnisse tatsächlich so? Betrachtet man die Vorgänge und Vorgehensweise bei der Durchsetzung des Bauvorhabens Waldschlösschenbrücke in Dresden, so kommen vielen gebildeten Bürgern inzwischen ernsthafte Zweifel. Wir möchten versuchen, das im folgenden zu erläutern.
Vorweg sei in Erinnerung gebracht, dass der Grünzug „Dresdner Elbtal“ der einzige innerstädtische Stadtraum von Dresden ist, der das verheerende Bombardement vom 13. Februar 1945 in seiner authentischen historischen Gestalt und Substanz unversehrt überstanden hat. Bei allem was geschehen ist, ist das ein Wunder. Schon deswegen sollte dieser Grünzug als ein kostbarer Rest des alten Dresden respektiert werden und unversehrt bleiben.
Nach der ersten umfassenden, ja völligen Zerstörung des historischen Stadtkörpers gegen Ende des Weltkrieges folgte in der Nachkriegszeit, im Zeichen der sozialistischen Stadtplanungsvorstellungen, mit der flächendeckenden Niederlegung von weitgehend wiederaufbaufähigen Ruinen die zweite umfassende Zerstörung Dresdens. Nun wurde endgültig ausgelöscht, was aus den Ruinen des für seine Schönheit gerühmten historischen Stadtkörpers in seiner alten, dicht gedrängten baulichen Struktur und Stadtgestalt an Bürger- und Geschäftshäusern noch hätte wieder aufgebaut werden können.
Mit der Wiedervereinigung erschlossen sich dann aus vielen staatlichen und privatwirtschaftlichen Quellen dankenswerterweise die enormen Mittel, die es brauchte und weiterhin brauchen wird, um wieder aufbauen und retten zu können, was vom alten Dresden noch zu retten war und ist. Dieser so erfreuliche Wiederaufbau ist in vielen Bereichen weit vorangekommen, in weiten Teilen auch abgeschlossen. Die großen Kultur- und Sakralbauten, von denen einige wenige sogar schon vor der Wiedervereinigung restauriert werden konnten, stehen wieder. Vieles jedoch bleibt noch zu tun. Gegenwärtig können wir am Neumarkt den Versuch verfolgen, nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche, nun auch das gänzlich verlorene historische Bild der Stadt an dieser Stelle durch den Neubau von Häusern möglichst in der alten Gestalt wiederzugewinnen.
Jetzt, 18 Jahre seit der Wiedervereinigung, nach einem Zeitraum, in dem alles besser zu werden versprach, kommt – ganz unnötig und völlig unverständlich – der dritte wuchtige Zerstörungsakt, der der Stadtgestalt von Dresden eine weitere große, auf alle Zeiten hin sichtbare Wunde schlagen wird: die Zerschneidung des innerstädtischen Elbtals an seinem schönsten Abschnitt. Dieser Frevel wird ausgerechnet jenem Ort zugefügt, der seit mehr als zweihundert Jahren wegen seiner einzigartigen Schönheit nicht nur in der Literatur, sondern auch in der darstellenden Kunst vielfach festgehalten und gerühmt wurde. Es ist jene Stelle, an der noch heute eine weit ausladende, ehrwürdige alte Eiche, die so genannte Sängereiche, an die lange Tradition der hier abgehaltenen Sängerfeste erinnert. Dieser Ort von so besonderer landschaftlicher Schönheit, weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt wegen seines immer noch einzigartigen Blicks auf den historischen Stadtköper von Dresden und wegen seiner vielschichtigen Kulturtradition, wurde vor genau einhundert Jahren durch den Beschluss gebildeter, weitsichtiger und verantwortungsbewusster Stadtväter mit dem ausdrücklichen Ziel von der öffentliche Hand käuflich erworben, ihn ein für alle Mal vor einer Zerstörung durch Bebauung zu schützen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Hohn, wenn es heute ausgerechnet die Staatsregierung ist, welche die ererbte Verpflichtung, diese Kulturlandschaft zu schonen, fest entschlossen ignoriert, um eine vierspurige Verkehrsführung, deren Notwendigkeit infolge des seit einiger Zeit nachlassenden Verkehrsaufkommens inzwischen in Frage gestellt wird, mit einer gewaltigen Bogenbrücke quer über die Elbe zu spannen und den Naturraum in dieser Weise mit einer Verkehrsbarriere zu zerteilen.
Dem Spaziergänger, der hier bislang die Stille und Beschaulichkeit einer harmonischen Flusslandschaft und den weiträumigen Blick auf den in der Ferne gelegenen historischen Stadtkörper von Dresden genießen konnte, stellt sich nun eine massiger Verkehrsbau in den Weg, von dem erheblicher Motorenlärm und Benzinabgase auf die Elbauen und die Erholung suchenden Spaziergänger niedergehen werden.
Gern wird darauf verwiesen, dass die Ausführung dieser Brücke vor allem deswegen zu erfolgen habe, weil die Dresdner bei einer im Jahre 2005 durchgeführten Abstimmung mehrheitlich für den Bau der Brücke gestimmt hätten. Der Respekt vor den unveräußerlichen Grundregeln einer Demokratie gebiete es, dieses Bürgervotum als eine Willensäußerung zu begreifen, die es umzusetzen gelte. Die Politik und Verwaltung seien dazu verpflichtet, für die Einhaltung demokratischer Regeln zu sorgen. Sie hätte mithin den Auftrag, die Verwirklichung des Brückenprojektes sicher zu stellen.
Gestatten Sie uns, darauf mit folgenden Überlegungen zu antworten, die gleichermaßen auf der festen Überzeugung gründen, dass die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaftsordnung unverzichtbar sind.
- Die seinerzeit durchgeführte Befragung der Bevölkerung, wurde thematisch einseitig auf die Fragestellung eingeschränkt, ob man den Bau einer Brücke befürworte oder nicht.
- Tunnelstudien in mehreren Varianten, deren Ausführbarkeit in den Jahren 1996, 2002 und 2003 bereits nachgewiesen worden waren, wurden der Bevölkerung als alternative Möglichkeit anstelle einer Brücke nicht bekannt gemacht und befremdlicherweise auch nicht in die Fragestellung des Referendums aufgenommen.
- Die Möglichkeit, dass der Bau einer Brücke angesichts des zu Recht strengen Reglements der UNESCO den Welterbetitel gefährden könnte, wurde der Bevölkerung ebenfalls verschwiegen.
Betrachtet man die hier genannten Umstände, so erinnert diese Befragung, deren Ergebnis in der Öffentlichkeit immer wieder und in eindringlicher Weise als eine demokratische Verpflichtung zum Bau der Brücke vorgestellt wird, in der Art ihrer inhaltlichen Einschränkung und in der Durchführung doch allzu sehr an jene Volksbefragungen, wie sie in totalitären Staatssystemen typischer Brauch sind, und wie wir sie in der DDR leider über viele Jahrzehnte erleben mussten – nämlich in der Hinsicht, dass mit eingeschränkten Fragestellungen und dem Verschweigen relevanter Sachverhalte von vorneherein sichergestellt wird, dass sich ein gewünschtes Ergebnis auch tatsächlich einstellt.
Vor der Befragung der Bevölkerung zum Projekt der Waldschlösschenbrücke hätten die politisch Verantwortlichen – in Wahrnehmung ihrer Aufgabe zu geistiger Führung – die ethische Verpflichtung gehabt, die Bürger über alle ihnen bekannten, den Befragungsgegenstand betreffenden relevanten Sachverhalte (so auch Alternativen und Risiken) wahrheitsgemäß und vollständig aufklären müssen. Das wurde unterlassen. Deswegen halten wir diese Umfrage, so wie sie durchgeführt wurde, für zutiefst unsittlich. Wegen der so praktizierten Täuschung der Bevölkerung fehlt ihr die ethische Qualität einer wahrhaft demokratisch erwirkten Grundlage. Das Ergebnis dieser Umfrage kann deswegen unseres Erachtens nicht als eine gültige demokratische Willensäußerung einer Mehrheit der Bevölkerung bewertet werden und etwa den Bau der Brücke rechtfertigen.
Angesichts der von den öffentlichen Verantwortungsträgern immer wieder ins Feld geführten Argumentation, der Wille der Bevölkerung sei zu respektieren, betrachten wir es als einen eklatanten Widerspruch zu solchen Aussagen, wenn die Stimmen von 50.000 Dresdner Bürgern, die sich für den unversehrten Erhalt des Elbtales und gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke ausgesprochen haben, nicht zur Kenntnis genommen werden. Ihr Votum wurde mit einer formaljuristischen Begründung seitens der Regierungsverwaltung einfach beiseite geschoben. Die für diese Entscheidung Verantwortlichen übersehen dabei, dass wohl jede dieser 50.000 Stimmen in ihrem privaten Umfeld (Verwandte, Freunde, Bekannte) mit einem Zuspruch von mindestens ein bis zwei weiteren Stimmen rechnen kann. Das ergäbe eine Menge Gleichgesinnter von 100.000 bis 150.000 Bürgern. Eine vor kurzem durchgeführte Umfrage belegt, dass dieses Potential tatsächlich existiert. Es wird sich noch herausstellen, ob es politisch klug war, diese Stimmen einfach zu ignorieren.
Die Menschen dieser jetzt anwachsenden Bürgerbewegung sind entsetzt von den ethisch verwerflichen Methoden, mit denen politische Verantwortungsträger der Landeshauptstadt und des Freistaates unter Nutzung der Medien und aller ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der administrativen Macht vorgehen, um den Brückenbau, koste es was es wolle, durchzusetzen und dabei auch Personen, die sich für den Erhalt des Welterbes und gegen den Brückenau aussprechen, in bemerkenswert fragwürdiger Weise bis hin in Belange der beruflichen Existenz bedrängen, um sie nachhaltig zu warnen und von ihrer möglicherweise unliebsamen persönlichen Stellungnahme in der Frage des Dresdner Welterbes abzubringen.
Unterlassene Aufklärung, offizielle Desinformation, eine nach wirklichen demokratischen Maßstäben inakzeptable, ja unsittliche Bürgerbefragung, Unterlassung einer umfassenden Aufklärung der Bevölkerung über die sinnvollen Aufgaben und die wichtigen Verdienste der UNESCO, stattdessen anhaltende Verunglimpfung der UNESCO, systematisches Verschweigen des Welterbetitels im öffentlichen Raum, öffentliche und in manchen Fällen anhaltende Diffamierung hoch angesehener Bürger, sowie die bedenkliche Bedrängung von Personen und Einrichtungen sind erlebte, bezeugte und belegbare Vorkommnisse. Auf sie möchten wir hier nicht eingehen. Die Betroffenen werden aber möglicherweise Gelegenheit nehmen, an geeigneter Stelle und zu gegebener Zeit diese Vorgänge einmal öffentlich aufzuzeigen.
Inzwischen gibt es bereits beunruhigende Reaktionen. Man hört in Dresden vermehrt Stimmen, die hier praktizierten Methoden der Durchsetzung von staatlich verordneten Zielsetzungen kenne man ja aus „DDR-Zeiten“, man fühle sich manipuliert, ganz so wie früher. Zorn und auch bittere Resignation sind zu erleben. Angesichts der Ereignisse und der Vorgehensweise sinkt offensichtlich der Glaube an die Tauglichkeit, ja an die reale Existenz des demokratisch verfassten Staates. Politikverdruss und Wahlenthaltung sind die alarmierenden Folgen.
In bedenklicher Weise ist diese Entwicklung jetzt auch bei der Wahl zum Oberbürgermeister von Dresden sichtbar geworden. Die Beteiligung betrug im entscheidenden zweiten Wahlgang nur noch 35%. Rund 65% der wahlberechtigten Bürger haben infolge der wenig Vertrauen erweckenden Verhaltensweisen der politischen Parteien und ihrer Exponenten resigniert von einer Teilnahme an der Wahl Abstand genommen. Sie haben den Glauben an die Möglichkeiten des Bürgers für eine wirklich demokratische Mitwirkung in wichtigen Fragen des politischen Geschehens verloren.
Diese Entwicklung ist eine scharfe Warnung. Sie sollte beachtet werden, denn sie bedeutet eine ganz konkrete Gefahr für die in Ostdeutschland noch junge Demokratie.
Wir haben allerdings Zweifel, ob die politischen Verantwortungsträger imstande sind, dieses Menetekel wahrzunehmen und richtig zu deuten. Voraussichtlich werden sie es einfach ignorieren. Der Politikverdruss wird wachsen, die bürgerliche Mitte wird zunehmend enttäuscht werden, die politische Landschaft wird sich nach rechts und links polarisieren. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Die mit der Wiedervereinigung eben erst zusammengeführte ostdeutsche und westdeutsche Gesellschaft, deren Bewusstsein einer demokratisch verfassten, zusammengehörigen Gemeinschaft noch lange nicht gefestigt ist, bekommt Risse. Auseinanderstrebende Bewegungen setzen ein – nicht nur entlang der Ost-West-Naht, sondern auch in andere beunruhigende Richtungen.
Mit jedem Tag, an dem Kubikmeter um Kubikmeter Beton in die Elbwiesen versenkt werden, um möglichst schnell Verhältnisse zu schaffen, auf deren Unumkehrbarkeit man dann verweisen kann, wird es wahrscheinlicher, dass der Brückenbau mit solcherart und in anderer Weise aufgebotener Macht erfolgreich durchgesetzt werden kann. Dabei wird nicht nur der Landschaftsraum Dresdner Elbtal verletzt. Eine tiefe Verletzung erfährt auch das Vertrauen der gebildeten Bevölkerung in unsere politischen Verantwortungsträger und in die fachlich zuständigen und ebenfalls in einer ethischen Verantwortung stehenden öffentlichen Institutionen, von denen man weiß, dass sie sich aus Gründen der „Staatsraison“ den politischen Vorgaben zu fügen haben, auch gegen bessere Erkenntnis.
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte bedenken Sie sorgfältig, ob Sie der Zerstörung des Elbtals so unbedenklich zusehen und zustimmen können. Die Brücke, sollte sie gebaut werden, wird weltweit als ein Denkmal der Unkultur und des Versagens wahrgenommen werden. Dieses Denkmal wird dauerhaft die Namen all jener Personen und Institutionen in Erinnerung halten, die hier unrühmlich beteiligt waren oder aber untätig geblieben sind.
Auf dem Spiel stehen nicht nur der gute Ruf Dresdens als eine Stadt der Baukultur sowie die Reputation Deutschlands als eine Kulturnation und als ein verlässlicher internationaler Partner in Fragen der Kulturpolitik und bei Kulturverträgen. Auf dem Spiel stehen auch der Ruf der Regierenden und das Vertrauen der Bürger in sie.
Diese Krise ließe sich so einfach lösen. Benötigt man tatsächlich eine Elbquerung – und darum geht es doch eigentlich – so könnte man statt der Brücke einen Elbtunnel bauen. Dass das möglich ist, wurde kürzlich erneut nachgewiesen.
Mit freundlichen Grüßen
Jene Bürger Dresdens,
die sich dem Erhalt des Welterbes
und der Wahrung demokratischer Prinzipien
verpflichtet fühlen