Bürgerentscheid vs. Völkerrecht
16. Dezember 2008
Univ.-Prof. Dr. Heike Krieger ist Professorin für Öffentliches Recht und Völkerrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin und zugleich Richterin des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. In den „Berliner Online-Beiträgen zum Völker- und Verfassungsrecht“ hat sie einen Aufsatz mit dem Titel „Die Herrschaft der Fremden – Zur demokratietheoretischen Kritik des Völkerrechts“ (pdf-Datei, 291 kB) veröffentlicht. Dieser Aufsatz ist zugleich im „Archiv des öffentlichen Rechts“ (Bd. 133, Nr. 3, Juli 2008, S. 315-345) erschienen. Das „Archiv des öffentlichen Rechts“ ist eine der angesehensten und ältesten juristischen Fachzeitschriften in Deutschland. Es wird von Udo di Fabio (Richter am Bundesverfassungsgericht), Peter M. Huber (Vorsitzender des Deutschen Juristen-Fakultätentages) und Gerhard Robbers (Leiter des Instituts für Europäisches Verfassungsrecht) herausgegeben.
Auf Seite 15ff. ihres Aufsatzes widmet sich Heike Krieger unter der Überschrift „Völkerrecht und unmittelbare Demokratie“ der Dresdner Waldschlösschenbrücke. Bemerkenswert sind hierbei ihre Aussagen zum „Völkerrecht als Grenze von Akten unmittelbarer Demokratie“ auf Seite 17f.:
Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit besagt aber, dass alle deutschen Staatsorgane nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet sind, die Völkerrechtsnormen zu befolgen, die die Bundesrepublik Deutschland binden, und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Nach § 24 Abs. 4 der Sächsischen Gemeindeordnung steht ein Bürgerentscheid einem Beschluss des Gemeinderates gleich. Der Beschluss ist kein Akt eines rechtlich ungebundenen Souveräns. Die Gemeindebürger üben vielmehr gebundene öffentliche Gewalt aus. … Als Teil der vollziehenden Gewalt sind aber auch die Gemeindebürger an den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit gebunden und haben Verletzungen des Völkerrechts nach Möglichkeit zu unterlassen. Daher kann jedenfalls bei hinreichend bestimmten völkerrechtlichen Verpflichtungen, die in Form eines Vertragsgesetzes umgesetzt sind, von abzuwägenden Rechtspositionen nicht die Rede sein. Vielmehr wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob ein Bürgerentscheid, der sich über Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen hinwegsetzen will, überhaupt stattfinden kann, oder ob es sich nicht vielmehr um einen Antrag handelt, der gesetzeswidrige Ziele verfolgt und damit nach den Gemeindeordnungen gar nicht zulässig ist.
Hinzu kommt: Bereits weit vor dem Bürgerentscheid von 2005 herrschte in Kreisen der Sächsischen Staatsregierung Klarheit darüber, dass sehr wohl ein Konflikt zwischen dem Bau der Waldschlößchenbrücke und der Bewahrung des Welterbe Dresdner Elbtal besteht:
- Georg Milbradt sagte hierzu im Interview mit der Sächsischen Zeitung am 13.05.2008: „Kurt Biedenkopf, Herbert Wagner und ich haben deshalb immer vor einer Beantragung des [Welterbe-] Titels gewarnt.“
- In einem Aktenvermerk der Staatsregierung vom 29.09.2003 wird von „einer Dampferfahrt [mit dem ICOMOS-Gutachter Jukka Jokilehto] vom Stadtzentrum nach Pillnitz“ zufrieden berichtet: „Die im Vorfeld von SMI befürchteten Diskussionen um eine Waldschlößchenbrücke und weitere Bauvorhaben spielten … keine kritische Rolle.“
Diese und weitere Fakten sind in unserem Beitrag „Und die UNESCO war doch informiert!?“ zur bewusst verschleierten Darstellung des Brückenbauvorhabens bei der Beantragung des Welterbetitels zusammengefasst.
Vor diesem Hintergrund wird auch die eigentliche Funktion des Bürgerentscheids von 2005 besser sichtbar: Der Widerspruch der UNESCO sollte mit dem Argument „direkte Demokratie steht über Völkerrecht“ vom Tisch gewischt werden. So kam es den „Brückenbauern“ durchaus gelegen, dass das Bundesverfassungsgericht am 29.05.2007 urteilte (2 BvR 695/07, Absatz 35): „In Anbetracht dieses völkerrechtlichen Rahmens ist es verfassungsrechtlich möglich, dass sich der in einer förmlichen Abstimmung festgestellte Bürgerwille, als authentische Ausdrucksform unmittelbarer Demokratie, in einem Konflikt über die planerische Fortentwicklung einer Kulturlandschaft durchsetzt.“ – was von ihnen seither in der Form: „Alle Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht haben die Rechtmäßigkeit des Brückenbaus bestätigt.“ kolportiert wird – allerdings ohne den unmittelbar folgenden Satz aus dem Urteil zu zitieren, der da lautet: „Dies gilt jedenfalls dann, wenn zuvor in einem Verhandlungsprozess erfolglos nach einer Kompromisslösung gesucht wurde.“ Dass es einen solchen Verhandlungsprozess mangels Kompromisswilligkeit und -fähigkeit von Landeshauptstadt und Freistaat nie gegeben hat, ist hinlänglich bekannt.
Damit wird deutlich: Der Bürgerentscheid von 2005, welcher gemeinhin als zwingender Grund für den Bau der Waldschlößchenbrücke angeführt wird, ist juristisch sehr wohl angreifbar. Bereits im Jahr 2004 hatte ein Gutachten über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Waldschlößchenbrücke Hinweise auf diesen Umstand geliefert.
Noch deutlicher: Man könnte meinen, der Bürgerentscheid von 2005 wäre illegal zustande gekommen.
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