Das Dresdner Welterbe – Die Alternative
21. Dezember 2008
Blühe, deutsches Florenz,
mit deinen Schätzen der Kunstwelt,
Stille gesichert sei, Dresden Olympia uns
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
Ein Essay von
Rainer G. Richter
Kunsthistoriker, Oberkonservator
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Kunstgewerbemuseum in Schloss Pillnitz
Obwohl sich die Worte Herders ganz und gar auf Dresdens Kunstschätze und explizite auf die italienischen Gemälde in der Dresdner Gemäldegalerie beziehen, wird der Begriff – abgewandelt in „Elbflorenz“ – häufig, wenn auch fälschlich, obendrein für die in die liebliche Elbelandschaft eingebettete Dresdner Stadtlandschaft verwendet.
In letzter Zeit werden auch immer wieder im Zusammenhang mit dem Dresdner Weltkulturerbe (Titel seit 2004) und dem Bau der Waldschlösschenbrücke Diskussionen über die vorgesehenen Baumaßnahmen geführt. Hierbei gibt es über die zukünftige Gestaltung der Dresdner Elbelandschaft die haarsträubendsten Ansichten, die mangels Interesse an der Kulturlandschaft den Welterbetitel gefährden.
Zu diesem gewachsenen Landschaftsraum gehören u.a. Stadt und Festung Königstein, Stadt und Festung Pirna, Schloss und Park Pillnitz, der Elbhang, die Elbschlösser, die Waldschlösschenumgebung, die Dresdner Innenstadt mit den Ministerialbauten, dem Jägerhof, dem Residenzschloss, dem Japanischen Palais und den Kirchenbauten sowie das Schloss Übigau am „unteren Ende“ des Dresdner Elbtals. Der etwas enger gesteckte Abschnitt, den wir zurzeit noch als „Weltkulturerbe“ bezeichnen dürfen, erstreckt sich „nur“ von Pillnitz bis Übigau.
Ungeachtet der unterschiedlichen Standpunkte zu den geografischen Begrenzungen des Weltkulturerbes haben alle genannten kulturellen Besonderheiten ein gemeinsames Kriterium, durch das der Ehrentitel Weltkulturerbe überhaupt gerechtfertigt ist: die Einmaligkeit der durch die Stadt führenden Elbwindungen, verbunden mit der ausgedehnten, weitgehend naturbelassenen Uferlandschaft, welche die einmalige Natur-, Kultur- und Stadtlandschaft Dresden hervorgebracht hat. Keiner anderen bedeutenden Stadt auf der Welt ist eine solche Verbindung zwischen Fluss, Landschaft und urbaner Bebauung gelungen. Sämtliche größeren Städte Europas, die an einem oder mehreren Flüssen gelegen sind (Berlin, Budapest, Florenz, London, Paris, Prag, Rom, St. Petersburg usw.), haben ihre Bauten bis an die Ufer geführt, welche meist von hohen Uferstraßen gesäumt wurden. Nur in Dresden ist es weisen Kurfürsten und Königen und später ebenso klugen und tüchtigen Stadträten gelungen, die Dresdner Elbelandschaft weitestgehend zu erhalten. Wegen der starken und früher häufig vorkommenden Hochwasser (kleine Eiszeit – etwa vom Anfang des 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts) folgten die Kurfürsten und klugen Stadträte einfach der Einsicht in eine gegebene Notwendigkeit. Die Elbwiesen waren als Überschwemmungsland, auf dem sich die Wassermassen ausbreiten konnten, einfach notwendig.
Angefangen im 16. Jahrhundert unter Herzog und Kurfürst Moritz (1521/1541-1553), der Dresden zu einer Renaissancestadt erblühen ließ, fortgeführt durch „Vater August“ (1526-1586), der Dresden zu der militärisch meistbefestigten europäischen Stadt des 16. Jahrhunderts ausbaute, über Johann Georg I. (1585/1611-1656), der gewaltige Jagden, Festspiele und -musiken auf den breiten Elbwiesen aufführen ließ, ferner über August den Starken (1670/1694-1733), unter dem Dresden zu einem kleinen „Venedig des Nordens“ avancierte, bis hin zu den bedeutenden Entscheidungen der Regierung und der Stadtverwaltung um 1900 gelang es, den einmaligen Landschaftscharakter der Großstadt weiterhin zu bewahren. Selbst als um 1880 die Elbe im Zusammenhang mit der Kettenschifffahrt vorsichtig kanalisiert wurde (Uferbefestigung, Ausbau von Hafenanlagen und Pferdeschwemmen), blieb dieser einmalige Charakter erhalten!
Heute gibt es inmitten dieser Landschaft in der unmittelbaren Nähe des von Camillo Graf Marcolini (1739-1814) am Ende des 18. Jahrhunderts angelegten Waldschlösschens, zu dem das heute noch bestehende neogotische Haus, das so genannte Waldschlösschen, ursprünglich aber auch ein englischer Park und eine Meierei (etwas elbabwärts auf der heutigen Bautzner Straße) gehörten, eine äußerst sensible Stelle: den so genannten „Waldschlösschenblick“, womit eine Aussicht vom Waldschlösschen auf die Elbelandschaft und die Dresdner Altstadt gemeint ist. Genau an diesem Aussichtspunkt verließen Reisende, eben noch aus dem Dunkel der Dresdner Heide kommend, die Bautzner Landstraße, um von der hohen Uferböschung aus (etwa dort, wo der heutige Pavillon steht) den prächtigen Anblick Dresdens zu genießen. Wer ist nicht heute noch bewegt, wenn er z.B. Ernst Rietschels (1804-1861) Lebensbeschreibung liest, in welcher er diesen überwältigenden Eindruck wiedergibt, als er als Kind zum ersten Mal aus Pulsnitz nach Dresden kam! Diesen historisch gewachsenen Waldschlösschenblick durch eine Brücke (ungeachtet dessen, wie „schön“ sie zu werden verheißt) zu zerschneiden und zu zerstören, hieße, den sensibelsten Bereich der Dresdner Kulturlandschaft am empfindlichsten zu treffen! Wer dennoch an dieser Stelle eine Elbquerung wünscht, sich aber dem kulturellen Erbe verpflichtet fühlt, braucht sich nur für die Alternative Elbtunnel zu entscheiden.
Der Elbtunnel ist die Alternative!
Jeglichen Beifall errang,
wer Nützliches mischt mit dem Schönen
Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci
Horaz (Quintus Horatius Flaccus 65-8 v.Chr.), ars poetica