Wer A sagt, muss auch B sagen, Herr Tillich!
1. Februar 2009
Eduard Zetera
ist ein wenig ernüchtert.
Das heutige Interview der Woche mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich im Deutschlandfunk war in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich:
Zunächst einmal durften sich all jene, die schon immer den Verdacht hegten, dass es von Stanislaw Tillich bis zu einem brillanten Rhetoriker noch ein Stück Weg ist, spätestens jetzt endgültig bestätigt fühlen. Allein zwei mal verleiht er seiner Überzeugung Ausdruck, dass „a) das Unternehmen [Qimonda]“ das eine oder andere tut oder lässt – aber ein „b)“ sucht man in seinen anschließenden Ausführungen vergeblich. Wer „a)“ sagt, muss aber auch „b)“ sagen, Herr Tillich!
Nun würde Stanislaw Tillich Ungerechtigkeit widerfahren, wenn die Kritik an seinen Statements sich lediglich in derartigen Oberflächlichkeiten erschöpfte. Dazu aber gibt es keinen Grund. Mit Stanislaw Tillich hat Sachsen einen Ministerpräsidenten, dem es gelungen ist, inzwischen ganze neun Monate praktisch unter der Wahrnehmbarkeitsschwelle hinwegzuamtieren – sieht man einmal von der Diskussion um seine Blockflötenvergangenheit ab (deren Aufkochen gleichwohl nicht ihm als Verdienst angerechnet werden kann). Wohlmeinende werden jetzt vermuten, er gehe getreu dem Motto „No news is good news.“ effizient und zugleich geräuschlos seinen Verpflichtungen nach. Doch dem ist nicht so. Für Stanislaw Tillich gilt vielmehr „No news is no news.“
Vorweg: Zur Einordnung des Interviews ist es wichtig zu wissen, dass ihm sonntags um 11:05 Uhr ein attraktiver Sendeplatz vorbehalten ist, dass ihm mit 25 Minuten Dauer außerordentlich viel Raum gegeben wird und dass es kein Life-Interview ist (man kann bereits Sonntag früh im Internet lesen, was mittags zu hören sein wird). Aufgrund der großen Reichweite des Deutschlandfunks darf man also annehmen, dass der Sächsische Ministerpräsident keinesfalls unvorbereitet war. Um so überraschender ist es denn auch, dass das Interview nicht nur farblos war, sondern von geradezu bemerkenswerter Substanzarmut.
Stanislaw Tillichs Interview enthält keinen Beleg für den vorgeblichen Erfolg seines Wirkens: Auf das „Musterländle Ostdeutschlands“ angesprochen, erklärt er: „Wir haben im Jahr 2008 die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1991 gehabt.“ Das mag stimmen. Schaut man sich aber die Arbeitsmarkt-Statistik der Arbeitsagentur einmal etwas genauer an, erkennt man leicht, dass bei den Arbeitslosenquoten im Jahresdurchschnitt 2008 zwischen Westdeutschland (6,4%) und Ostdeutschland (13,1%) eine unverändert riesige Lücke klafft, und dass (wenn überhaupt) Thüringen mit 11,3% als „Musterländle“ gelten darf – denn Sachsen hat 12,8% Arbeitslose. Und der Unterschied zu 14,1% in Mecklenburg-Vorpommern ist wohl leichter mit der traditionell besseren Industrialisierung des Südens von Ostdeutschland zu erklären als mit den (fragwürdigen) Erfolgen CDU-dominierter sächsischer Wirtschaftspolitik. Da sind gut dreistellige Millionenbeträge in den Dresdner Heidesand gesetzt worden – und nicht nur einmal und nicht nur dort.
Stanislaw Tillichs Interview ist praktisch frei von Visionen. Da ist nichts zu kommentieren. Da ist einfach nichts. Ein Landesvater, der sein Bundesland in einer tiefen Krise – wenn schon nicht wirtschaftlich, dann doch zumindest moralisch – wieder aufbaut, klingt anders. Auch sein Vorschlag (mit Verweis auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung), eine Schuldenbremse in die Verfassung einzubauen, sollte nicht als Vision missverstanden werden. Diese Idee ist weder originell noch neu, sie ist allemal naheliegend. Jede Hausfrau wirtschaftet so, nur eben der Staat nicht. Im übrigen hat er keinen Grund, mit Verweis auf die sächsische Finanzpolitik andere zu belehren. Es mag sein, dass Sachsen „die höchste Investitionsquote aller deutschen Bundesländer“ hat – was das für Investitionen sind, lässt sich gerade am Beispiel Qimonda sehr gut beobachten. Und wenn „Sachsen immer besonders sparsam und besonders stolz auf die besonders niedrige Pro-Kopf-Verschuldung“ ist, dann doch nur noch so lange, bis die Abschlussrechnung zur SachsenLB-Pleite gestellt wird. Wenn die Redakteure des Deutschlandfunks dennoch die Geschichte von der Schuldenbremse als Kernaussage des Interviews in den Nachrichten des Tages wiederholten, dann wohl nur mangels weiterer Substanz. Wir werden in den folgenden Tagen sicher beobachten können, wie das die hiesigen Hofberichterstatter zur revolutionären These hochstilisieren.
Stanislaw Tillichs Interview lässt gleichwohl etwas von seinem Politikkonzept erkennen: Er befasst sich fast ausschließlich mit Wirtschaftsfragen. Bis auf einen kleinen, bemerkenswerten Satz:
Und ich will es nicht vergessen: Wir werden auch darauf Augenmerk legen, dass auch zum Beispiel die weichen Standortfaktoren, das heißt Kultur, nicht gänzlich unter den Tisch fallen.
Das ist verräterisch: besagt es doch, dass die „weichen Standortfaktoren“ seiner Ansicht nach schon unter den Tisch gefallen sind, nur eben noch nicht gänzlich.
Man kann von Stanislaw Tillichs Vor-Vorgänger Kurt Biedenkopf (u.a. in Weltkulturerbedingen) denken wie man will, aber auf die Wahrung von Mindeststandards in Bildung, Kultur und Sozialem hat er stets Wert gelegt. Georg Milbradt ist dies als dessen Finanzminister schon immer schwer gefallen und als dessen Nachfolger war ihm solches schlicht egal. Mit Georg Milbradt hat in Sachsen ein kalter, technokratischer Regierungsstil Einzug gehalten, der Diskussionen über „weiche Standortfaktoren“ bestenfalls als sozialromantische Gefühlsduselei einstuft. Der etwas eingeübt klingende Satz im Interview: „Und ich will es nicht vergessen … Da gibt es das eine oder andere …“ vermittelt, dass Stanislaw Tillich hier für Kontinuität steht.
Was er dabei vergisst: Gute Werte bei den „weichen Standortfaktoren“ sind unabdingbare Voraussetzung für Erfolg bei den „harten Standortfaktoren“. Das ist eine Binsenweisheit: Wer das eine will muss das andere mögen.
Wer A sagt, muss auch B sagen, Herr Tillich!
Insofern war es wohl schlichtweg naiv, nach dem Wechsel von Georg Milbradt zu Stanislaw Tillich im Amt des Sächsischen Ministerpräsidenten auf einen Wechsel in der UNESCO- und Brückenbaupolitik des Freistaats zu hoffen.
Im übrigen lernen wir in dem Interview nicht nur etwas über Stanislaw Tillich: Er ist erst vor wenigen Tagen mit 99% Zustimmung von den Delegierten seiner Partei zum Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl gekürt worden. Das heißt, die sächsische CDU steht vorbehaltlos hinter seinem Politikkonzept: Technokratisch, kalt, substanzarm und visionsfrei.