Bonjour Tristesse
27. März 2009
sagt Johannes Hellmich
Wenn sächsische Politiker zur Welterberettung nach Paris reisen, ins Herz bürgerlich-proletarischer Revolutionen, künstlerischer Avantgarde und europäischer Hochkultur, haben sie meist ganz eigene Vorstellungen von Demokratie und Ästhetik im Gepäck. Ziel der Emissäre aus dem fernen Sachsen ist immer wieder die Zähmung jener widerspenstigen UNESCO, die sich partout nicht in die Dresdner Vermessung der Welt einfügen lassen will. Die Flurstücksgrenzen sächsischen Biedermeiers enden lange vor dem Horizont der Menschheitsideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die von der französischen Metropole aus die ganze Welt erobert haben und die als humanistisches Bildungsethos im Bewahren kultureller Güter eine Erziehung der Menschheit zum Frieden sehen. Die Wahl des UNESCO-Sitzes fiel 1945 nicht zufällig auf Paris. Aufklärung und Rechthaberei – zwei Ausgangslagen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Das Rendezvous des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Vogel mit Francesco Bandarin vom Welterbezentrum im April letzten Jahres musste erfolglos bleiben. Das konnte auch der mitgereiste Kurt Biedenkopf nicht verhindern.
Die neue Oberbürgermeisterin Dresdens wollte die Kommunikationsfehler ihrer Vorgänger vermeiden. In der Sache blieb sie freilich genauso kompromisslos. Ende August schrieb Frau Orosz jenen viel beachteten Brief nach Paris, in dem sie in Gedanken noch einmal die Demonstranten des Wendeherbstes ’89 an ihrem Rathaus vorbeiziehen ließ. Sie sollten bezeugen, dass nur die eine Brücke untrennbar mit dem Erbe der friedlichen Revolution verbunden ist. Bandarin aber zeigte sich unbeeindruckt vom Pathos der tapferen CDU-Frau. Das verwundert nicht wirklich. Auch vor Bandarins Amtssitz hat es in der Vergangenheit einige revolutionäre Bewegung gegeben. Ganz so friedlich wie in Dresden ging es allerdings nicht ab. Der Dritte Stand erkämpfte auf den Barrikaden von Paris aber genau jene demokratischen Regeln, über die Frau Orosz in ihrem Brief den Direktor des Welterbezentrums belehrt. Immerhin kam es in der Folge der Korrespondenz zu ihrer ersten Paris-Reise, auch wenn man sich vor Ort wenig mitzuteilen hatte. Bandarin weigerte sich offenkundig hartnäckig, an der Autosuggestion der Union teilzunehmen, Welterbe und Brücke seien vereinbar.
Damit war eigentlich alles gesagt. Ende Februar aber fuhr die Rathauschefin noch einmal in die französische Hauptstadt. Und wieder gab es mit irgendwem irgendwelche Gespräche. Helma Orosz hält es bis heute für unnötig, die Dresdner Öffentlichkeit über die Ergebnisse ihrer Reise zu informieren. Diese Geheimniskrämerei ist lächerlich.
Erstaunlich, dass erneut Kurt Biedenkopf zur Entourage gehörte. Was er vom Welterbetitel Dresdens und von der UNESCO hält, hat der frühere Ministerpräsident inzwischen mehrfach erklärt. Ob Biedenkopfs Charme einer dauerbeleidigten Leberwurst der Mission half, scheint fraglich. Auf welcher Grundlage wir die Reisespesen der CDU-Ikone übernehmen, bleibt auch diesmal geheimnisvoll wie das meiste an der geplanten Welterberettung.
Schon die dürftige Nachrichtenlage für sich wirft einige interessante Fragen auf. Erneut wird von einem mit dem Auswärtigen Amt abgestimmten Vorgehen gesprochen. Inwieweit trifft das zu? Zum wiederholten Male auch fällt der unsägliche Satz, dass in den Gesprächen mit der UNESCO die Rolle Deutschlands als großer Beitragszahler betont werden soll. Lässt sich das SPD-geführte Auswärtige Amt vor den Karren einer starrsinnigen Union in Sachsen und Dresden spannen, deren offenkundiges Motiv nur der eigene Machterhalt ist? Schwer vorstellbar. Allein aber die Absicht, auf die Mitgliedsstaaten des Welterbekomitees finanziellen Druck auszuüben, wäre beschämendes Armutszeugnis für alle Beteiligten. Ganz unabhängig davon, ob ein solcher Erpressungsversuch Erfolg haben würde; allein die Teilnahme an diesem inakzeptablen Vorgehen dürfte nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Frau Orosz mag ihre Partei in Dresden durch das Verbreiten trügerischer Hoffnungen über die anstehenden Wahlen retten. Sollte das bizarre Geschäft scheitern, muss sie letztlich die politische Verantwortung für das Welterbefiasko übernehmen. Die Festlegung auf die Vereinbarkeit von Welterbe und Brücke, mit der sie die OB-Wahl gewonnen hat, war der Weg des geringsten Widerstandes. Er würde sich dann als Sackgasse erweisen. Bliebe sie trotz des folgenschweren Irrtums im Amt, rückte dieses gebrochene „Wahlversprechen“ in die Nähe einer arglistigen Täuschung. Die Akzeptanz der ehemaligen Sozialministerin ist in erheblichen Teilen der Bürgerschaft schon jetzt nachhaltig beschädigt. Die polarisierende Ausrichtung ihres Wahlkampfes, mit der Helma Orosz 50.000 Unterschriften für einen Tunnelkompromiss ignorierte und ihren eigenen Sieg als Votum für die Brücke begriff, konnte sie schwerlich zur Bürgermeisterin aller Dresdner machen.
Vergessen wir nicht: Frau Orosz und Herr Biedenkopf versuchen, die klare Beschlusslage von Québec zu revidieren. Im Erfolgsfall kann das nur auf Kosten der Glaubwürdigkeit der UNESCO gelingen. Es sind stets die anderen, die den Preis für autistischen Ehrgeiz bezahlen. Einer wie Kurt Biedenkopf sollte das wissen; die Brüche in seiner eigenen Karriere weisen darauf hin. Der selbsternannte Übervater Biedenkopf hat den Respekt vor der kulturellen Identität vieler Dresdner, der am Anfang seines Engagements in Sachsen stand, längst verloren. Gefunden hat er dafür offenbar seine Altersrolle: Der alte Mann und das Welterbe. Wie den Helden aus einer Geschichte Hemingways zieht es ihn, trotz Misserfolg, immer wieder hinaus. Es scheint, als erlebten wir den letzten großen Kampf eines ergrauten Politikerphilosophen. In der literarischen Vorlage erringt der Fischer Santiago am Ende eine Art von Sieg. Doch der Fang, den er nach Hause bringt, ist wertlos. Es sind die traurigen Reste eines Kadavers. Dem Welterbe droht ein ähnliches Schicksal, sollten sich der gekränkte Mann vom Chiemsee und die adrette Powerfrau durchsetzen.