Die Stadt wird zur Festung erklärt
4. April 2009
meint Johannes Hellmich
„Das Verwaltungsgericht hat es den Umweltschützern ins Stammbuch geschrieben: Der Tunnel ist nicht genehmigungsfähig.“ – So tönt es in gewohnt markigen Worten von der Kommandobrücke am Waldschlösschen. Das Bild vom unerbittlichen Hineinschreiben ins Stammbuch beeindruckt zunächst. Ein wenig wirkt es, als habe die Welterbebewegung versucht, den Dresdnern ein illegitimes Kind unterzuschieben, dessen unrühmliche Vaterschaft nunmehr zweifelsfrei geklärt und somit die Urheberschaft eines verkehrsplanerischen Fehltritts für die Stadt und das Regierungspräsidium ausgeschlossen werden konnte. Lange war der Tunnel erfolgreich verleugnet worden; nun da er den Familienfrieden zu stören droht, soll er mit juristischen Mitteln endgültig zum Schweigen gebracht werden.
Die Redewendung vom Stammbuch hat tatsächlich aber nichts mit unangenehmen Familiengeheimnissen zu tun. Ihr Hintergrund ist ganz harmlos. Stammbücher sind, grob vereinfacht, Vorläufer jener Poesiealben, in denen Backfische Lebensweisheiten ihrer Schulkameraden und Verwandten sammeln, meist in Reimform mit passenden Illustrationen. Studenten früherer Jahrhunderte half das Stammbuch, vielversprechende Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Die lyrischen oder philosophischen Texte, mit denen sich Burschenschaftler gegenseitig belehrten und erbauten, bewegten sich also meist im Spannungsfeld von Dichtung und Wahrheit. Dort muss man auch den Spruch vom „vernichtenden Urteil“ einordnen, das Dr. Brauns und Herr Köhler-Totzki in der Urteilsbegründung zur Waldschlösschenbrücke zu erkennen glauben, und der seither an den Matrizen der Lokalpresse klebt. Wenn es denn ein solches Verdikt je gegeben hätte.
Wer das Urteil zum Planfeststellungsbeschluss ab Seite 87 ff. aufmerksam liest, kann die überschwängliche Begeisterung der Brückenfreunde kaum nachvollziehen. Dass der Tunnel in einem Genehmigungsverfahren nach umweltrechtlichen Aspekten scheitern müsste, wird an keiner Stelle erwähnt. Die umfangreiche Beschreibung von Eingriffen in die Ökosysteme bei verschiedenen Tunnelrealisierungen enthält nach Meinung der klagenden Umweltverbände mehrere Schwachpunkte. Sie haben deshalb Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Dass Frau Orosz vom Welterbekomitee verlangt, es müsse nun die Brücke akzeptieren, passt in die forsche Argumentationspraxis der Union. Dr. Brauns’ Stammbuchgerede wird hier unreflektiert weitergetragen. Die Oberbürgermeisterin weiß natürlich, dass das Welterbekomitee den Beschluss von 2008, Dresden von der Liste der Welterbestätten zu streichen, nicht korrigieren kann und wird. Ihre Forderung darf deshalb als verschleiertes Eingeständnis gewertet werden, dass jene Hintergrundgespräche, auf die sie immer wieder verwiesen hat, gescheitert sind.
Ein ganz anderes Stammbuch ist die Liste der Dresdner Oberbürgermeister. In ihr sind herausragende Persönlichkeiten vertreten wie Otto Beutler, Bernhard Blüher oder Wilhelm Külz, unter deren kluger Regierung Dresden zu einer der bedeutendsten deutschen Großstädte wurde. Die hohe Reputation, die frühere Bürgermeister durch ihr Wirken zum Wohle der Stadt bei der Dresdner Bürgerschaft genossen, ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend Formen der Duldung und Entfremdung gegenüber der Rathausspitze gewichen. In den letzten Jahren schlug dieses Verhältnis seitens vieler Bürger in tiefe Ablehnung um.
Die vornehmste Aufgabe der Oberbürgermeisterin Helma Orosz ist, Schaden von unserer Stadt abzuwenden. Jeder Tag, den sie mit einfältigen Dienstanweisungen an die UNESCO verstreichen lässt, bringt die Stadt einem irreparablen Ansehensverlust näher. Es gibt nur wenige Beispiele für ein ähnlich schweres Versagen ihrer Vorgänger. Die Verteidigung des Brückenprojektes gegen alle Vernunft ist dem Opportunismus einer Rathauschefin zuzurechnen, die sich sonst umso selbstbewusster präsentiert. Dresden ohne Not erneut zur Festung ausgerufen zu haben, dürfte die bestimmende Fehlleistung der Ära Orosz werden.