Präsident vor Flusslandschaft
10. Mai 2009
von Johannes Hellmich
Bilder erzeugen Bilder. Sie sollen dem Empfänger eine Realität vermitteln, die es außerhalb des Objektivs nicht gibt. Die gewünschte Wirklichkeit wird erst im Auge des Betrachters zusammengesetzt. Das gilt für den Urlauber genauso wie für den Wahlkampfmanager. Bevorzugtes Sujet professioneller Visualisierung sind starke Menschen vor starker Umgebung; geeignet, verschiedenste Botschaften zu transportieren. Wir kennen sie. Aber Gott sei Dank – es gibt ja auch ganz zweckfreie Bilder. Eine der genialsten Erfindungen der Menschheit auf dem Gebiet der Imagination ist zweifelsohne das Kaleidoskop. Diese optische Trickröhre muss nur lange genug geschüttelt werden, um durch Spiegelungen aus verschiedenen Einzelelementen phantastischste Formen und Muster zu erschaffen.
Nach dem ersten Achselzucken, welche Verbindung es zwischen Dresden mit seiner schönen Barockkulisse, der über Jahre kultivierten Engstirnigkeit und dem Weltverbesserer Barack Obama gibt, mag man vielleicht an diesen Zeitvertreib denken, der sich glücklicherweise noch immer in manchem Kinderzimmer findet.
Nun also der amerikanische Präsident. Ein Geschenk der Kanzlerin an die Dresdner, wie zu lesen ist – aber an welche? Für manchen wäre es genug gewesen, wenn Frau Merkel ihr Angebot eingelöst hätte, im Welterbekonflikt zu moderieren. Der Besuch kommt überraschend, der Termin lässt kaum Rückschlüsse zu. Eher zufällig wird er eingerahmt von zwei anderen Großveranstaltungen: dem unvergesslichen Grillfest des Jubilars Tillich im April und dem ökumenisch korrekten Frontbesuch des Papstes im nächsten Jahr. Unabsichtlich sicher auch die Nähe zur Stadtratswahl. Die aufdringliche Plakatierung im Stadtgebiet dürfte den Gast eher nerven, das „Ausländer raus“ der Nationaldemokraten vielleicht irritieren.
Bei allem Trubel darf eines nicht übersehen werden: Wenn die Kanzlerin auf diese Weise den Fremdenverkehr in Dresden ankurbelt, um einen zu erwartenden Prestigeverlust der Stadt mit den auch touristischen Folgen zu kompensieren, ist das allein der Kaltschnäuzigkeit ihrer sächsischen Parteifreunde geschuldet und bedeutet noch keinen Mehrwert. Selbst wenn die Aufwertung der Landeshauptstadt durch den Obamabesuch der Versuch einer vorgestreckten Wiedergutmachung ist, könnte erneut eine Fehlkalkulation zugrunde liegen. Statt ein Identifikationsdefizit der Neubundesbürger im Süden zu reparieren, könnte die gutgemeinte Hilfestellung den Entfremdungsprozess in dieser Stadt noch beschleunigen. Echte Gelegenheiten, kulturelle Selbstbestimmung fernab von schönen Bildern zu fördern, gab es reichlich. Die Passivität der Kanzlerin in der Welterbefrage zeigt allerdings auch Ihre Hilflosigkeit gegenüber den hiesigen Hardlinern, die fast mitleiderregend wirkte, ginge es nicht um elementare Interessen der Kommune und ihrer Bürger.
Dass sich Unionspolitiker dreist mit fremden Federn schmücken, wenn sie mit dem mächtigsten Mann der Welt durch die Altstadt flanieren, wird das ihnen eigene Bedürfnis nach Renommee kaum stören: Die meisten architektonischen und landschaftsgestalterischen Leistungen, auf die der Besucher hingewiesen wird, haben mit dem Betondenken der Union wenig bis nichts zu tun oder konnten gar gegen die „dritte Zerstörung“ durchgesetzt werden. Die baulichen Glanzleistungen der Ären Marx, Feßenmayr und Vorgänger jedenfalls wird wohl kaum ein Staatsgast zu Gesicht bekommen.
Und Obama selbst? Kann der Hoffnungsträger in Dresden ein wenig von jenem Spirit vermitteln, der ihn ins Weiße Haus trug? Ergreift hier jemand die Hand des glaubwürdigen Optimisten? Gerade in Dresden wird das nicht ganz einfach. Nun, da Amerika unter seiner Präsidentschaft endlich nach Lösungen für die globalen Probleme des Umweltschutzes und der Erderwärmung sucht, ist die Kanzlerin längst in der Rückwärtsbewegung. Von den Gastgebern gar nicht zu reden. Die Hartleibigkeit sächsischer Politiker ist wohl nirgends deutlicher fassbar geworden als im Brückenstreit.
Aus solcher geistigen Erstarrung könnte ihnen in dieser Sache jedenfalls nicht mal der smarte Harvardabsolvent helfen. Selbst wenn er im Stile Kennedys in die Welt hinausrufen würde: „Ich bin ein Welterbe!“ und die Reagenworte nachsetzte: „Mrs. Merkel, tear down this bridge!“; Unsere Pharisäer blieben davon ungerührt. Aus der Landesdirektion mahnte sie weiter die Bundeslade mit den zwei steinernen Tafeln zur Gesetzestreue – der Bürgerentscheid auf der einen und die Brückenurteile auf der anderen. Die Hohepriester, die hier über das Recht auf sächsischer Erde wachen, haben einen besonders eifernden Gott, der jeden Abfall vom Parteiprogramm grausam straft bis ins hundertste Glied.
Dennoch dürfen wir uns aufrichtig auf einen amerikanischen Freund freuen. Der Präsident steht für eine weltweite Hoffnung auf eine lebendige demokratische Gesellschaft verantwortungsbewusster Menschen. Eine Hoffnung, die sich bei uns nach fast zwanzig Jahren formal rechtsstaatlicher Strukturen längst nicht erfüllt hat. Diese Hoffnung dürfte auch die kommenden Bilderfluten überdauern.