„Wat will sie denn noch?“
15. Mai 2009
von Johannes Hellmich
Auch wenn die derzeitige Dresdner Oberbürgermeisterin weiter unverdrossen die Durchhalteparole von der Vereinbarkeit von Brücke und Welterbe an ihr gutgläubiges Publikum ausgibt; das tönerne Argumentationsbollwerk, welches die Union in den letzten Monaten aufgetürmt hat, um an der Brücke ungestört weiterbauen zu können, stürzt gerade krachend zusammen. Wer sich noch immer weigert, das zur Kenntnis zu nehmen, dem ist nicht zu helfen. Die anderen beginnen bereits, die seelischen Aufräumarbeiten zu planen oder über die Konsequenzen nachzudenken. Was bedeutet der Verlust für unsere Stadt jenseits aller Resignation auf der einen und notorischen Verharmlosung auf der anderen Seite? Welche Tendenzen werden sich verstärken und welche Sozialprognose kann für die politisch Verantwortlichen am Welterbe-GAU gestellt werden?
Ausgerechnet die DNN, sie seit langem im hoffnungslosen Wettlauf mit der größeren Konkurrentin eine Marktnische im Verbreiten nicht mehr ganz aktueller, aber dafür umso positiverer Nachrichten sucht, gelang dieser Tage ein vermutlich unbeabsichtigter Geniestreich. Sie titelte in ihrer Online-Ausgabe völlig arglos: Dresden reift zur Einkaufsstadt.
Vier Worte. Kürzer lässt sich der Anspruch einer verfehlten Grundausrichtung kaum zusammenfassen, die losgelöst von Bedarf und Selbstverständnis der Bürgerschaft aus Dresden eine eierlegende Wollmilchsau züchten möchte. Zwischen Silicon Saxony und Silvesterhauptstadt, Shoppingparadies und Superstriezelmarkt, Wissenschaftsstandort, Touristenmagnet, Welterbe der Herzen und – natürlich – Kulturmetropole wird ein Größenwahn eingeübt, der aus einem beschaulichen Beamtenstädtchen die Mutter aller ostdeutschen Cluster machen will. Ob Dresden am Ende unverschuldet das Schicksal des Fischers und seiner maßlosen Frau aus dem Märchen der Gebrüder Grimm teilen muss, bleibt abzuwarten. Die Einkaufscity jedenfalls ist bereits ein Faktum, die damit verbundene notwendige Erreichbarkeit mit dem Auto bleibt logische Forderung der Stadtverwaltung. Die Konfliktlinie zwischen intelligenter Verkehrsberuhigung und freier Zufahrt an die Regale der innerstädtischen Kaufhäuser wird uns weiter beschäftigen. Ebenso wie die Frage, ob Prosperität und Gigantomanie notwendig zusammengehören. Nichts könnte die unterschiedliche Wahrnehmung der Probleme treffender beschreiben, als bei dieser Entwicklung von einem Reifeprozess zu sprechen, wie es die DNN geschafft hat.
Das gleiche Missverhältnis begleitete von Anfang an die Diskussion um den Verkehrszug Waldschlösschenbrücke. Was für die einen nur eine harmlose Brücke inmitten ungenutzter Wiesen ist, bedeutet für andere einen schweren Eingriff in den verbliebenen Torso landschaftlich-kultureller Identität. Mit der nun zu erwartenden Streichung geschieht zugleich etwas paradoxes. Die in sich geschlossene Propaganda der Union fußte vor allem auf der Annahme, die UNESCO wolle das Elbtal gar nicht aufgeben, weil es damit zugleich das einzige Druckmittel auf die geknechtete Elbestadt verlöre. Die tatsächliche Streichung rückt diese Perspektive zurecht. Die verzerrende Darstellung, mit der Frau Orosz in letzter Minute ihre Verdummungs- und Hinhaltetaktik zu retten sucht, der Tunnel sei vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden, bleibt damit genauso wirkungslos wie das Festklammern an einem Bürgerentscheid, dessen Bindungswirkung längst abgelaufen ist. Der Hinweis der Presse, die Oberbürgermeisterin tue noch einmal alles in ihren Kräften stehende, um den Titel zu halten, lässt dennoch das Schlimmste befürchten. Wie weit wäre sie wohl dabei imstande zu gehen? Im Grunde aber verliert Frau Orosz am Tage der Streichung jenes Ansehen, das mit ihrem Amt untrennbar verbunden ist. Dass sie die gebotenen Konsequenzen zieht, ist allerdings kaum zu erwarten. Der geduldige Dresdner wird auch das überstehen.
Besonders interessant aber ist: Mit dem Ende der jahrelang vorgetragenen Lügen verlieren die beteiligten Politiker genau die Souveränität, die sie mit aller Macht erhalten wollten. Sie werden zwar weiter den zu lauten Ton angeben, aber es nimmt sie niemand mehr ernst. Insofern stellt die Aberkennung wirklich eine Befreiung dar, wenn auch in anderer Weise, als es Vaatz und Wagner gehofft hatten.
Die Forderung nach einem Stopp und Rückbau der Brücke bleibt im Übrigen von der Streichung unberührt und besteht weiter. Und auch der Elbtunnel behält als einzig sinnvoller Kompromiss seine Gültigkeit.