Dresden – demokratisch degradiert?
25. Mai 2009
Gedanken zur Waldschlößchenbrücke
und zum drohenden Verlust des Welterbetitels
ein Leserbrief
von Ulf Peter Schmidt
in den DNN vom 23.05.2009
Mit gewöhnlicher Vorstellungskraft kann sie sich jeder inzwischen vorstellen – die im Bau befindliche Hochstraße mit Brückenbogen – das Bauwerk mit dem harmlosen Namen Waldschlößchenbrücke. In der Landschaft eingepflanzte Fundamente mit Betonbekrönung sowie angeböschte und betonierte Zufahrten ermöglichen inzwischen die reale Vorausschau der bisher maßgeblichen Simulationen und Pläne.
Vom Altstädter Ufer bietet sich der Eindruck, als habe das zart zur Stadt sich neigende Gelände nur darauf gewartet, nun als zur Rampe zur Ehre eines gewaltigen Straßenbauwerkes umgewidmet zu werden und sich diesem vollständig unterzuordnen. Vom Waldschlößchenpavillon aus ermöglichen die Sockel der Fahrbahnstützen die Erfahrung, wie Empfindungen von Weite und Großzügigkeit des Elbauenbogens zur Feststellung der lächerlich kurzen Strecke als Autofahrbahn schmelzen, die in absehbarer Zeit in wenigen Sekunden mit dem Auto durchmessen werden kann.
Es wird sicher ein erhabenes Erlebnis, im Auto fahrend, aus dem Dunkel der Zufahrtstunnel in das milde Licht der Elbwiesen mit dem großartigen Blick auf die einzigartige Symbiose aus Natur und Kultur der Elbhänge aufzutauchen. Hier verwirklicht sich in sinnbildhafter Verdichtung die Umkehr bisheriger Wahrnehmung: hier wird die Landschaft zur visuellen Mobilitätskulisse der Straße. Bisher waren Straßen und Brücken notwendige Verkehrswege, die – allenfalls das Gelände erklärend – sich in die Landschaft einfügten.
Dieser Bedeutungswandel, der sich immer häufiger in den jüngeren Straßenbauprojekten manifestiert, ist ein in die Landschaft veräußerter Ausdruck des Glaubens an permanentes Quantitätswachstum. Auf seiner Finanzseite ist dieses Wirtschafts- und Denkmodell gerade offensichtlich an die Grenzen geratenen … Wie weit sich aus diesem Bedeutungswandel ein neues Bewertungsmuster entwickelt hat, zeigt sich auch daran, dass von der verkehrstechnischen Notwendigkeit dieses Verkehrsprojektes schon lange nicht mehr die Rede ist. Sie hat sich offiziellen Zahlen zufolge durch Stagnation und Rückgang des Fahrzeugaufkommens seit Längerem erledigt. In naher Zukunft werden sich die Formen der Mobilität weiter drastisch ändern – so man die Endlichkeit bisher genutzter Ressourcen in Betracht zu ziehen bereit ist.
Inspiriert vom heiter-schönen Genius der die Stadt umgebenden Landschaft – nutzten bisherige Generationen diesen als Quelle für ihr Tun. Die Übereinstimmung in diesem Geist geschöpfter Eingriffe durch Bauwerke, Verkehrswege und Landschaftsgestaltung mit der gegebenen Natur begründete den Ruf und die Anerkennung dieser Stadt – weltweit. Diese Dresdner Tugend, Schönheit im weitesten Sinn zum Maßstab aller mit Kultur verbundenen Lebensäußerungen zu machen, galt bis nach dem 2. Weltkrieg; in zurückgezogenen Bereichen gilt sie noch heute.
Auf diesem Boden entwickelte ich das, was seit 2004 als Weltkulturerbe gewürdigt wird.
Mit der anzunehmenden – willentlich in Kauf genommenen – Aberkennung des Weltkulturerbetitels vollzieht sich der erklärte Bruch mit dem trotz Kriegen und Nöten durchgehaltenen des kulturellen Selbstverständnis der Stadt.
Das eine tragfähige, an Dresdner Maßstäben orientierte Vision der Stadtgestaltung zunehmend abhandenkommt, wird baulich im Übrigen auch an vielen anderen Orten bedrückend deutlich. Advanta-Riegel, Postplatz, Verkaufstempel in Stadtviertelausmaßen u.a. offenbaren nur stichpunktartig den laufenden Austrocknungsprozess lebensnaher Orientierungsgrundlagen der Stadtentwicklung.
Mit dem Bau der Waldschlößchenbrücke wird unmittelbar Hand an die Wurzeln kulturbegründender Wertedefinitionen dieser Stadt gelegt. Auch wenn das im Dresdner Dunst nicht gern wahrgenommen wird, diese Botschaft wird außerhalb als solche verstanden. Entsprechende Reaktion kündigen sich bereits massiv an. Ein ungeahnter Verlust an Bedeutung der Stadt als Wissenschafts- und Kulturstandort wird die Kosten des Brückenbaues einschließlich des denkbaren Mehraufwandes für einen Tunnels in den Schatten stellen. Diese Gewissheit rückt langsam in das Bewusstsein der Verantwortlichen – wohl aber zu spät.
Viele tausend Dresdner haben ausdauernd gegen diesen Kulturbruch demonstriert – mit Disziplin und Würde. Im Sinne der Demokratie als Mehrheitsbeschaffungsverfahren sind sie in der Minderheit. Die Frage nach kultureller Zukunftsfähigkeit kann demokratisch nicht beantwortet werden. Diejenigen, die diese Frage in Bezug auf Abwägung zwischen autogerechter Stadt und Kultur zu bewegen hatten, haben falsch entschieden.
All dies ist nicht neu und seit langem mit einfachem Gedankenkalkül vorherzusehen. Ohne die Bewerbung um den Weltkulturerbestatus wäre das Brückenproblem eine lokale Angelegenheit. So aber blickt die Weltöffentlichkeit auf diesen Ort – mit Recht. Der Rang des Erreichten ergibt sich ganz überwiegend aus den Leistungen unserer Vorfahren. Diesen Rang für eine noch bequemere Automobilität auszuschlagen, ist Arroganz aus Wohlstand.
Ist die drohende bevorstehende kulturelle Degradierung durch Aberkennung des Weltkulturerbestatus etwa langfristig geplant und gewollt?
Nachtrag: Der Leserbrief war in den DNN gekürzt erschienen. Hier lesen Sie jetzt seine vollständige Fassung.