Der Untunnel
27. Mai 2009
Das Verhältnis der Brückenfreunde zur Tunnelalternative war stets ein schlichtes: ihre Existenz wird verleugnet. Diese Wahrnehmungsverweigerung nimmt neuerlich geradezu skurrile Züge an. Sie durchlief in der Vergangenheit mehrere Phasen, in denen immer aufs Neue Gründe erfunden wurden, warum ein Elbtunnel keine Alternative zum Brückenbau darstellt. Diese Strategie ist wahrlich nicht originell:
Wer etwas verändern will, sucht Wege.
Wer nichts verändern will, sucht Gründe.
Albert Schweitzer
Aber der Reihe nach:
Phase 1: Der Tunnel ist nicht machbar.
Das Argument, eine technisch vernünftige Tunnellösung sei gar nicht denkbar, war im Frühjahr 2008 (etwa zu Beginn unseres Bürgerbegehrens) en vogue. Um es zu untermauern, wurde der so genannte CDU-Tunnel erfunden, der Eingänge in der Dresdner Heide und Notausstiege mitten in den Elbwiesen hatte, für dessen Bau extra frisch sanierte, denkmalgeschützte Villen abgerissen werden müssten und der bei Hochwasser zudem noch volllief. Diese vollkommen abstruse Darstellung wurde und wird von der Bürgerinitiative Pro Waldschlößchenbrücke auf ihren Internetseiten verbreitet, in Form eines Flyers der CDU-Stadtratsfraktion an alle Dresdner Haushalte verteilt und ist von deren Internetauftritt bis heute abrufbar. Doch damit nicht genug: Die mit den Brückenbauern personell verflochtene Ingenieurkammer wurde als vermeintliche Fachinstanz instrumentalisiert, um derart irreführenden Darstellungen auch noch den halbamtlichen Stempel „Geprüft“ aufzudrücken.
Dem Spuk wurde im März 2008 durch die Fachklausur zum Elbtunnel an der TU Dresden ein Ende bereitet. Hier stellte eine international besetzte Runde mit hochkarätigen und unabhängigen Fachleuten fest, dass der Elbtunnel eine vernünftige und mit absolut vertretbarem Aufwand zu realisierende Alternative zum Brückenbau darstellt. Seither ist es nicht nur um die Ingenieurkammer still geworden. Selbst hartgesottene Brückenfreunde akzeptieren mittlerweile, dass sie sich mit dieser Argumentation lächerlich machen.
Phase 2: Der Tunnel ist nicht finanzierbar.
Solide Schätzungen der Mehrkosten, die eine Umwandlung des Brückenprojekts in einen Tunnelbau mit sich bringen würden, beliefen sich stets auf ca. 30 Mio. €. Die Brückenfreunde sehen das selbstverständlich ganz anders: am häufigsten verbreitet wird die Zahl von 100 Mio. €; der Dresdner CDU-Chef Lars Rohwer verstieg sich in seinem legendären Interview nach der UNESCO-Entscheidung im Juli 2008 sogar zu der Angabe von 201 Mio. €. Zur gleichen Zeit sprach ein von der Landeshauptstadt bestellter Gutachter im Verfahren der Naturschutzverbände vor dem Verwaltungsgericht Dresden von Mehrkosten in der Höhe von 29 bis 36 Mio. €. Wem ist da wohl mehr Glauben zu schenken?
Die Diskussion um die Mehrkosten der Tunnelalternative ist aber noch in anderer Hinsicht brisant: Schon während der Unterschriftensammlung zum Elbtunnel-Bürgerbegehren mutmaßte das im Auftrag der Landesregierung handelnde Regierungspräsidium, das Bürgerbegehren werde voraussichtlich an einem unzureichenden Kostendeckungsvorschlag scheitern. Und so lautete denn auch eines der zentralen Argumente, mit denen das Regierungspräsidium seine Auffassung von der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens begründete, sinngemäß: die Initiatoren hätten es versäumt, gemeinsam mit den Unterschriften gleich noch die fehlenden 30 Mio. € auf den Tisch zu packen. Die gleiche Landesregierung war es in der Folge, die sich beharrlich weigerte, verschiedentlich angebotene Mittel des Bundes (zuletzt sogar ausdrücklich für den Erhalt der deutschen Welterbestätten) zur Abdeckung der Mehrkosten auch nur anzufragen. Und die gleiche Landesregierung ist es, die bereitwillig für den Citytunnel in Leipzig allein im Jahr 2009 Mehrkosten in Höhe von 58 Mio. € übernimmt. Nach jüngsten Schätzungen erwartet Leipzig übrigens insgesamt 177 Mio. € Mehrkosten. Dafür bekommt man in Dresden einen ganzen Elbtunnel incl. Anbindung – nur mal so als Vergleich.
Phase 3: Der Tunnel ist nicht genehmigungsfähig.
Die Vokabel „genehmigungsfähig“ entstammt dem Verwaltungs-Sprech, sprang etwa im Sommer/Herbst 2008 in den allgemeinen Sprachgebrauch über und wird seither von den Brückenfreunden eifrig verwendet, um Zweifel an der Tunnelalternative zu säen und zu kultivieren. Mangels anderer Einwände wurde die Behauptung, der Elbtunnel sei nicht genehmigungsfähig, zwischenzeitlich zum zentralen Argument gegen die Tunnelalternative aufgebaut. Nachdem sich herausstellte, dass gerade das aus der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts nun nicht herauszulesen ist (das Gericht sagt nur, der Elbtunnel sei aus Naturschutzperspektive nicht die Vorzugsvariante), versuchen die Brückenfreunde verzweifelt, das mit aller Gewalt in das Urteil hineinzuinterpretieren.
Nun wird es erst richtig bizarr: Bereits ein juristischer Laie kann erkennen, dass in der Urteilsbegründung von „nicht genehmigungsfähig“ keineswegs die Rede ist. Zudem gibt es inzwischen Gutachten, die eben das weniger verklausuliert bestätigen. Die Brückenfreunde wissen das. Und trotzdem schreibt Helma Orosz dem Welterbekomitee einen Brief, in dem sie behauptet, das Gericht hätte den Elbtunnel als nicht genehmigungsfähig eingestuft und damit sei eine vollkommen veränderte Situation eingetreten und man könne ja nun gar nicht mehr anders und überhaupt … Das schreibt sie wider besseren Wissens. Und das erzählt sie auch jedem, der danach fragt. Wider besseren Wissens. Und schlimmer noch: die Dresdner Lokalpresse druckt diesen Unsinn fleißig ab. Wider besseren Wissens.
Wer will sich da noch wundern, dass es so weit hat kommen können mit Dresden?