Die letzte Frist verstreicht
27. Mai 2009
Im Juni wird Dresden wohl den
Welterbetitel der UNESCO verlieren
Ein Beitrag in der
Süddeutsche Zeitung
vom 16./17.05.2009
Zynischer geht’s nicht. Bei einer Tagung über die kulturellen Folgen des demographischen Wandels im Hygiene-Museum in Dresden hat Sachsens umstrittener Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) am Donnerstag mehr Kultur-Engagement von seinen Bürgern gefordert: „Wenn es uns gelingt, dass Staat und Bürger weiter gemeinsam Verantwortung für ihre Kultur übernehmen, dann werden die kulturellen Kräfte unseres Landes nicht schwächer, sondern stärker.“ Armes Sachsen! Nirgendwo arbeitet die Politik in Kulturfragen fanatischer gegen den erklärten Willen der Bevölkerung. Die Bürger Dresdens haben die „Verantwortung für die Kultur“, die Tillich einfordert, in imponierender Weise wahrgenommen, als sie gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke im Dresdner Elbtal protestierten und so die ungeheure Blamage der Aberkennung des Weltkulturerbetitels durch die UNESCO verhindern wollten. Die Antwort der Politik hätte nicht brutaler ausfallen können: Im Herbst 2007 rückten die Baumaschinen an und verwüsteten den Talhang, der bislang als Aussichtsbalkon in Richtung Innenstadt gedient hatte, und die am anderen Ufer gegenüberliegende Auenlandschaft auf einer Breite von mehreren hundert Metern so gründlich, dass auch dann, wenn das Wahnsinnsverfahren jetzt noch gestoppt werden würde, die Schäden für die Landschaft irreparabel sind. Die jüngsten Luftaufnahmen von der Baustelle lassen alle Phantasien von Verwüstung verblassen. Jedem, der sie sieht, ist klar: Unter dieser Brücke wird nie mehr etwas Lebendiges keimen.
So kann man es fast als schicksalhafte Fügung empfinden, dass einen Tag nach Tillichs anmaßender Forderung aus Paris die Nachricht durchsickerte, das Welterbezentrum der UNESCO habe seinen 21 Mitgliedsstaaten empfohlen, auf der Jahressitzung am 23. Juni in Sevilla das Dresdner Elbtal wegen des brutalen Brückenbaus und der Negierung aller internationalen Warnungen endgültig von der Liste der Welterbestätten zu streichen. Ausgerechnet das altberühmte europäische Kulturzentrum Dresden wird also demnächst jene peinliche Demütigung als Kulturstandort erleben, die Köln vor einigen Jahren durch Einlenken beim Hochhausbau noch einmal vermeiden konnte. Die Schuldigen in Dresden sind leicht zu benennen: Es sind die Politiker von CDU und FDP, die das Ansehen der Stadt aufs Spiel setzen.
Anmerkung: Im Forum der Süddeutschen Zeitung kann man unter dem Titel „Weltkultur in Gefahr“ eine angeregte Diskussion zu diesem Beitrag verfolgen. Sie gibt den Verlauf wie auch die Verhärtung der Fronten im Dresdner Brückenstreit plastisch wieder. Es verwundert nur eines: Die Brückenfreunde wissen die Demokratie und das Recht auf ihrer Seite. Sie sehen, dass ihr Anliegen gegen alle Widerstände durchgesetzt wird. Warum freuen sie sich dann nicht? Warum nur klingen sie so gereizt? Erkennen auch sie, dass in Dresden nicht nur Recht gesprochen, sondern Gerichte auch instrumentalisiert wurden? Sehen auch sie, dass in Dresden der Bürgerwille nicht nur respektiert, sondern gelegentlich auch ignoriert wird? Ärgert es sie vielleicht, dass die UNESCO unabhängig genug ist, frei zu urteilen: Ihr zerstört das Welterbe der Menschheit! Ärgert es sie, dass die UNESCO ihnen den Spiegel vorhält und kein juristischer oder politischer Winkelzug sie daran hindern wird?