Dresden ist eine weltoffene Stadt
15. Juli 2009
von Johannes Hellmich
Wolfgang Donsbach vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden erforscht die Meinungen sächsischer Bürger. Seine Erhebungen überschreiten, wie auch die Bewertungen seines Kollegen Werner Patzelt, gern die schwer auszumachende Grenze zwischen Analyse und Wählerbeeinflussung. Dabei ist Wolfgang Donsbach immer noch etwas schneidiger vorgegangen, wenn es darum ging, durch geschickte Fragestellungen die Antworten der Bürger im Sinne der Auftraggeber zu formen.
Nun hat Herr Donsbach einen offenen Brief an die Dresdner geschrieben: „Dresden – wache auf!“ Veröffentlicht haben ihn die Sächsische Zeitung und der Presseclub. Andere Medien werden vermutlich folgen. Anlass des Brandbriefes ist der Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini am 1. Juli. Das Verbrechen selbst wurde in der Lokalpresse als mittelgroße Sensation abgehandelt; die Unfähigkeit, die Schwere des Vorfalls zu erkennen, war allen Medien gemein. Kommunalverwaltung und Landespolitiker hatten sich in die Sommerferien verabschiedet und waren nicht willens, eines Mordes wegen den Urlaub zu unterbrechen. Tatsächlich: Hätte es in der islamischen Welt nicht unerwartet große Proteste gegeben, die Sache wäre längst verdrängt von den Highlights der Filmnächte und alltäglichen Schreckensmeldungen. Selbst dem nun international lautstark erhobenen Vorwurf einer deutschen Islamophobie gegenüber zeigten sich Politiker und Presse hilflos. Die Sächsische Zeitung hatte in einem Kommentar keine anderen Sorgen, als sich nach zwei Absätzen politisch korrekter Betroffenheit am Trittbrettfahren des iranischen Präsidenten zu reiben.
In diese Sprachlosigkeit hinein also ertönt Donsbachs Appell. Aber statt die geistig-moralische Verwahrlosung dieser Stadt unmissverständlich zu benennen, wird sein Aufruf zum weiteren Skandal: Es ist genau diese Art des Umgangs mit Wahrheit, welche das Klima in Dresden schuf, das Donsbach nun beklagt. Symptomatisch für jene Heuchelei, die in Dresden offenbar als Grundkonsens verstanden wird, ist sein Lob für die Rede des 1. Bürgermeisters Dirk Hilbert, die nun an Peinlichkeit kaum zu übertreffen war und die in der überregionalen Presse glücklicherweise keine Erwähnung fand. Mit seinem Beifall für die grauenhaften Phrasen Hilberts bleibt Donsbach indes konsequent. Sein sogenannter offener Brief, über dessen Motivation nur spekuliert werden kann, krankt am gleichen grundsätzlichen Problem, wie der Fehltritt des städtischen Repräsentanten: Beiden geht es mit keiner Silbe um das persönliche Leid, dass der Mord verursacht hat. Beiden geht es nicht um den Menschen Marwa El-Sherbini und nicht um die Trauer der Familie. Hilbert und Donsbach erschrecken vor allem über die Folgen des Geschehens – für den Wirtschaftsstandort und das Renommee Dresdens.
„Dresden ist eine weltoffene Stadt … Wir brauchen Ausländer für den Hightech-Standort Dresden … Ausländer gehören ins Stadtbild.“ – In unendlichen Varianten hatte Hilbert vor den Zuhörern beteuert, dass wir auf Ausländer als Beteiligte an der Wertschöpfung nicht verzichten können, dass sie als folkloristisches Element eine Bereicherung für unsere Kunst- und Kulturstadt sind. Auch das: Als Beweis für eigene Ausländerfreundlichkeit zeigte er seine mitgebrachte koreanische Ehefrau. Dass ausländische Mitbürger zuallererst Menschen sind, die ein Recht auf Unversehrtheit und Menschenwürde haben, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie für Dresdens Wohlfahrt arbeiten oder nicht und völlig unabhängig übrigens auch von ihrem Integrationsgrad, kam bei Hilbert nicht vor. Das wäre aber schon genug gewesen. Ein Bürgermeister muss sich zuerst fragen, ob ausländische Mitbürger in ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit das Maß an Achtung erfahren, das auch den Geringsten unter uns vor menschlichem Desinteresse bewahrt. Mit Leerformeln wie: Wir haben doch schon viel erreicht, aber man müsse sehen, was man bei der Integration noch verbessern könne, hat Hilbert gezeigt, dass ihn die Situation völlig überfordert.
Der Aufruf von Donsbach ist nicht besser. Seine Mahnung, Dresden solle aufwachen, bezieht sich trotz vieler durchaus interessanter Einsichten letztlich auf das gefährdete Image der Stadt. Das ist die eigentliche Enttäuschung. Donsbach sucht nach den Ursachen des Verbrechens nur, insoweit dadurch die richtige Strategie gefunden werden kann, auf einen weiteren Ansehensverlust Dresdens zu reagieren. Er stellt zunächst fest, was jeder längst wache Bürger weiß:
Ein Drittel der Dresdner hat Sympathien für die Idee, Ausländer wieder nach hause zu schicken, wenn Arbeitsplätze knapp werden, ein Viertel fühlt sich angesichts „der vielen Ausländer“ (nebenbei: Dresden hat von allen deutschen Großstädten die wenigsten Ausländer) „wie ein Fremder im eigenen Land.“ Das ist NPD-Gedankengut bei einem maßgeblichen Teil der Bevölkerung. Dabei muss man bedenken, dass solche Antworten im Interview sogar eher noch positiv verzerrt sind.
Dann resümiert er:
Die Stadt diskutiert vorrangig über Veranstaltungskonzepte à la Riesa und die Zukunft des Kulturpalasts, Maßnahmen, die unter dem gegenwärtigen Image Dresdens keinen zusätzlichen Ausländer anlocken werden. Die Einsicht in das Problem, dass es nicht nur um verrückte Einzeltäter, sondern um weit verbreitete Haltungen geht, wäre der erste Schritt zur Lösung.
Wie diese Einschätzung zu seinem Lob für Hilberts behaupteter Weltoffenheit Dresdens passt, darüber gibt Donsbach keine Auskunft.
Neigen Dresdner also genetisch bedingt mehr zu Fremdenhass als andere Bürger in Deutschland? Ist die Kluft zwischen verkündeter Weltoffenheit und tatsächlicher Xenophobie unüberbrückbar? Ist es mit halbherziger Förderung von weiteren Integrationsprojekten getan? Zumindest Letzteres scheint fraglich, zumal die Opferfamilie nun gerade allen Vorstellungen einer gelungenen Integration entsprach und der Täter sich nicht außerhalb hier herrschender Vorurteile bewegte. Folgt man Donsbach, sollte ja eher manch ehrbarer Dresdner Bürger sein Integrationsverhalten professionell überprüfen lassen. Muss wirklich die ganze Stadt aufwachen, wie es der Kommunikationswissenschaftler fordert?
Es hat in den vergangenen Jahren ungezählte Aktivitäten gegen Fremdenfeindlichkeit in unserer Stadt gegeben. Erinnern wir uns, dass es erst zum letzten 13. Februar die Dresdner Union ablehnte, mit anderen demokratischen Kräften des linken Spektrums, den Gewerkschaften und Kirchen ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit zu setzen. Erinnern wir uns an den Plan des Fraktionschefs der Sachsenunion, Steffen Flath, vor einem Jahr den Landtagswahlkampf erneut durch eine Gleichsetzung von Linken und NPD in Gang zu bringen. Die menschenverachtende Ausländerfeindlichkeit der Nationaldemokraten wurde damit im Grunde relativiert. Genau das ist es, was Ausländerhass und Islamophobie begünstigt. Zur Wahrheit gehört: Nicht Flath hat aus Anstand auf diese Richtungsentscheidung verzichtet; gescheitert ist die erneute Rote-Socken-Kampagne auf Kosten ausländischer Mitbürger an dem Sozialdemokraten Karl Nolle und seiner Blockflötendiskussion. Der politische und kulturelle Grabenkampf nach dem Rechts-Links-Schema wird besonders in Dresden mit dramatischer Härte geführt. Mit der Projektion des Feindbildes vom links-grünen Gutmenschen hat kleinbürgerliches Denken eigene moralische Selbstbeherrschung im Laufe der Jahre völlig aufgegeben, dominiert aber zugleich den geistigen Mainstream in Stadt und Land.
Die latente Duldung von Gleichgültigkeit und Intoleranz zugunsten einer propagierten sächsischen Volksgemeinschaft ist eine Ursache für die Akzeptanz des von Donsbach angeprangerten Gedankenguts in breiten Kreisen der Bürgerschaft. Viele dieser Bürger dürfen zum Wählerklientel der Union gerechnet werden. Das Bestreben, Dresden und Sachsen kulturell vom Rest der Welt abzuschotten, hat die Tendenz zu Selbstgenügsamkeit und -gerechtigkeit verstärkt. Ein Festklammern an langjähriger gesellschaftlicher Stagnation soll die Unveränderlichkeit sächsischer Machtverhältnisse garantieren. An der Schaffung dieses Klimas sind Meinungsforscher wie Donsbach und Patzelt maßgeblich beteiligt. Der von der Konrad-Adenauer-Stiftung protegierte Donsbach muss sich fragen lassen, ob er nicht selbst an der unerträglichen Heuchelei der Inkaufnahme fremdenfeindlicher Grundeinstellungen in konservativen Wählerschichten mitwirkt. Sein Appell könnte gerade dort auf taube Ohren stoßen. Vielleicht wird man ihm antworten: „Wir brauchen die Ausländer nicht. Dresden bleibt trotzdem eine weltoffene Stadt.“ – Hoffentlich wacht dann Wolfgang Donsbach auf.