Tunnelmania
15. August 2009
von Johannes Hellmich
Die Nachrichten überschlagen sich seit gut zwei Wochen. Peter Ufer, inoffizieller Pressesprecher der Dresdner Oberbürgermeisterin, musste sich schon anstrengen, seinen Lesern das Brainstorming aus dem Rathaus zu erklären. Nachdem es zuletzt so aussah, als sei die sächsische Landeshauptstadt der einzige Ort, an dem Tunnelpläne im Allgemeinen und ein Elbtunnel im Besonderen geradezu zwangsläufig an Grundwasserspiegel, Immobilien, Umweltrecht und einer Million anderer Gründe scheitern müssten, der einzige Ort auch, wo einen schon der Gebrauch des vom Gallischen (!) tunna abgeleiteten Wortes der gesellschaftlichen Zurechnungsfähigkeit berauben konnte, ist – um mit Dr. Brauns zu sprechen – wieder einmal „alles anders“.
Nun werden von Baubürgermeister Marx großflächig Ideen ausgebracht, aus denen überall im Stadtgebiet Tunnel sprießen sollen wie dereinst Protestklos. Endlich kann er seinem Affen Zucker geben, nachdem mit Gerhard Ritscher einer der letzten grünen Verkehrsblockierer im Rathaus abserviert wurde. Das Mehrbrückenkonzept stand am Anfang einer Serie verhängnisvoller Eingriffe der Landesregierung in die Dresdner Kommunalpolitik. Dessen Aus exekutierte schließlich Herbert Wagner als devoter Vollstrecker mit der Festlegung auf den WSB-Standort. Eben diese Phantasterei der Herren Just und Kaiser scheint unverhofft fröhliche Urständ zu feiern. Nun also eine zweite Brücke am Körnerplatz. Auch ein Tunnel wird, darf man der Sächsischen Zeitung glauben, in der Stadtverwaltung nicht ausgeschlossen. Selbstverständlich taucht der Name Mücke wieder auf.
Geld spielt bei den geplanten verkehrlichen Segnungen freilich keine Rolle. Das hat natürlich ein wenig mit den anstehenden Wahlen zu tun. Der Aktionismus soll signalisieren: Bei der Union gibt es noch echte Visionäre. Nachdem Frau Orosz mit ihrem Parteifreund Köhler als Oberbürgermeisterin ein weiteres Mal gescheitert ist, bleibt ihrer konzeptionslosen Truppe nur die Flucht nach vorn. Spätestens in Sevilla hätte sie allerdings feststellen können, dass ihre Strategie der Konfrontation außerhalb ihres bisherigen Erfahrungshorizontes erfolglos bleiben muss. Dass ein Ausgleich mit einer überparteilichen Dresdner Intelligenzija in zentralen kulturellen, verkehrspolitischen und ökologischen Fragen unverzichtbar ist, sollten ihr Dresdner Parteifreunde inzwischen vermittelt haben. Über das Welterbe besser nicht mehr zu reden, wird kaum ausreichen.
Das Projekt Waldschlösschenbrücke erinnert dabei in Vielem an das Wohnungsbauprogramm der SED: ideologische Überhöhung einfacher Bedürfnisse (damals Wohnen, heute Mobilität), städtebauliche Fehlgriffe, Überdimensionierung, Verfall wertvoller Altbausubstanz, Kulturverachtung und die Unfähigkeit, konstruktive Kritik anzunehmen. Schließlich: Auch damals hat die Sächsische Zeitung euphorisch über Baufortschritte in Leuben, Prohlis und Gorbitz berichtet. Genutzt haben der SED die Plattensiedlungen letztlich nicht. In den nächsten Tagen wird in Leuben ein Sechzehngeschosser abgerissen. Der Rückbau sozialistischer Architektursünden ist inzwischen überall im Neubundesgebiet fast Normalität. Dass dabei oft genug das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Die Union hat das Desaster am Waldschlösschen unnötigerweise zu einer Grundsatzfrage gemacht. Sie kann deshalb nur grundsätzlich beantwortet werden. Es wäre weitsichtig von Dresdens Christdemokraten, die Schicksalsgemeinschaft CDU-WSB aufzulösen.
Weder Orosz, noch Marx, noch die gesamte Riege der Mobilitätsfanatiker in den Reihen von Union und FDP können dem Dresdner Grundkonflikt dauerhaft ausweichen. Und der liegt verschüttet unter den Abraumhalden, Fundamenten und Zufahrten am Waldschlösschen. Die Wiederherstellung der Elbwiesen als Teil einer Landschaft von Weltrang bleibt letztlich Voraussetzung für alle Kooperation.