Stasi 2.0
18. August 2009
Die Akte des Gefährders Michael Grasemann
kommentiert Eduard Zetera
Vorweg einige Anmerkungen zum Hintergrund …
Die Diskussion über die Speicherung personenbezogener Daten wurde viel zu lange nur in Fachkreisen gepflegt. Eine breite Öffentlichkeit nahm sie erst wahr, nachdem bekannt wurde, wie u.a. die Telekom, die Bahn und diverse Discounter ihre Mitarbeiter systematisch bespitzelten. Otto Normalbürger zeigte sich darüber zunächst mehr empört als verstört, besaßen derartige Vorgänge doch nur dann für ihn persönlich Relevanz, wenn es sich um seinen eigenen Arbeitgeber handelte. Das änderte sich schlagartig, als Informationen zum schwunghaften Handel mit Millionen von Kundendatensätzen die Runde machten: Otto Normalbürger begann zu verstehen, dass es auch ihm an die Taschen gehen kann, wenn nicht nur sein Name, sondern auch seine Adresse, sein Geburtsdatum und seine Kontonummer beginnen, durch das weltweite Datennetz zu vagabundieren.
Damit war klar, dass es bei Fragen um die Speicherung personenbezogener Daten schon einmal ums Geld geht. Die Gefahr, dass die weitere Verbreitung derartiger Daten künftig Menschen bei der Gestaltung ihres Lebensweges einschränken wird, erscheint aber noch immer abstrakt – auch wenn schon heute klar ist, wie das z.B. geschehen kann: Kein Anbieter von Lebensversicherungen würde Informationen zum Konsumverhalten seiner Kunden freiwillig ignorieren. Nein, wer laut Payback häufig Dosenbier und Chips kauft, der bekommt halt einen teureren Tarif.
Ähnlich abstrakt erscheint bislang ebenso die Gefahr, dass mit der Speicherung personenbezogener Daten auf die politische Meinungs- und Willensbildung Einfluss genommen wird. Doch auch hierfür kennen wir bereits ein plausibles Beispiel: Investigativ arbeitende Journalisten beklagen, dass mit Einführung der Vorratsdatenspeicherung einige ihrer Informationsquellen versiegt sind. Ja, wer wird denn noch bei der Presse anrufen, um ihr Brisantes, z.B. über einen Politiker oder einen Regierungsbeamten, zu stecken, wenn er weiß, dass sein Telefonat von ebendiesen ein halbes Jahr lang zurückverfolgt werden kann? Und manch ein Journalist wird künftig das eine oder andere brisante Thema gar nicht mehr aufgreifen, weil er nicht recht weiß, ob vielleicht die Falschen von seinen Recherchen Wind bekommen. Die „Schere im Kopf“ schnappt zu.
Stopp! Hatten wir das nicht schon einmal? Bei den Neubundesbürgern jenseits der 30 werden spätestens jetzt ungute Erinnerungen wach. Richtig: Das hatten wir schon einmal. Damals nannten wir das Stasi. Heute kommt so etwas zeitgemäß als Stasi 2.0 daher. Und nun haben wir in Dresden auch für ihr Wirken ein schönes Beispiel:
… und damit zur Akte Grasemann:
Michael Grasemann gehört zu den Aktiven der Dresdner Welterbebewegung. Das ist für sich genommen noch kein Verbrechen. Aber selbst dazu sind die Meinungen geteilt. Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) spricht z.B. von „Brücken-Dschihadisten“. Ein Auskunftsersuchen dazu, was denn im sog. „Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS)“ und in der Datei zur „Integrierten Vorgangssachbearbeitung (IVO)“ über Michael Grasemann gespeichert sei, förderte denn auch Besorgnis Erregendes zu Tage. Dabei gibt es keinerlei Anlass zu der Sorge, dass von Michael Grasemann eine Gefahr für unser aller Leib und Leben ausgeht. – Besorgt machen sollte vielmehr das, was man bereits heute mit den Systemen PASS und IVO so treibt und das, was man damit machen kann, wenn man nur will.
Schauen wir die Akte Grasemann doch einmal genauer an:
Im PASS ist Michael Grasemann als „bekannter Täter“ im Zusammenhang mit dem Protest gegen die höchst umstrittene Fällung der Angelikabuche vermerkt. Richtig ist, dass sich bei dieser Gelegenheit wie auch bei den Baumfällungen auf der Waldschlößchenstraße eine Vielzahl von Dresdner Bürgern, darunter z.B. der Schriftsteller Thomas Rosenlöcher, strafbar gemacht haben. Richtig ist aber auch, dass diese Bürger gewiss nicht als notorische Kriminelle gelten dürfen, zumal die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dazu – anders als im PASS behauptet – längst eingestellt sind. Und daher hat dieser Eintrag im PASS auch eine politische Dimension. Der Eintrag informiert somit Polizeibeamte nicht nur darüber, wo Michael Grasemann am 15.01.2008 gewesen ist, sondern er hilft ihnen auch, den „bekannten Täter“ politisch zu verorten …
Die Auskünfte zum IVO beginnen mit einer Serie von „Verkehrsordnungswidrigkeiten“, die in ihrer Gesamtheit den Eindruck nahelegen, dass es sich bei Michael Grasemann geradezu um den Prototypen eines Verkehrsrowdys handelt. Dabei wird schon einmal übersehen, dass er ein Geschäft betreibt und dass auch seine Mitarbeiter mit Fahrzeugen unterwegs sind, welche auf seinen Namen zugelassen sind. Doch das ist gar nicht der Punkt. Die viel interessantere Frage ist, wozu diese Daten überhaupt in Sachsen erfasst und verwaltet werden. Zur Identifikation wirklicher Verkehrsrowdys gibt es bereits das Verkehrszentralregister in Flensburg. Und das funktioniert. Mancher meint gar, das tut es viel zu gut. Plant Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) dennoch den Aufbau eines Registers „Flensburg 2.0“, weil ihm die derzeitige Punktsammlungspraxis zu lasch erscheint? Was bitte soll das?
Auf die fragwürdigen Einträge im Verkehrssündenregister des Michael Grasemann folgt schließlich der wirklich brisante Teil der IVO-Daten: Aus einer Reihe von „Tätigkeitsregistrierungen“ geht hervor, dass Michael Grasemann offensichtlich zu den Organisatoren von Demonstrationen der Welterbebewegung zählt. Damit tut er nichts, als von seinem Recht zur freien Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Warum aber wird dann sein Tun polizeilich erfasst? Warum wird für 24 Monate gespeichert, dass Michael Grasemann einige der – absolut gewaltfreien! – Demonstrationen der Dresdner Welterbebewegung angemeldet hat? Warum geschieht das sogar für Demonstrationen, die nicht einmal stattgefunden haben? Wer lässt diese Daten sammeln? Was hat er damit vor?
Aus den IVO-Akten anderer Personen wissen wir, dass bei Demonstrationen nicht nur die Inhalte von Plakaten akribisch notiert werden, sondern dass auch erfasst wird, wer diese sonst noch so gehalten hat. Das ist Gesinnungsschnüffelei in Reinkultur.
Diese Dinge sind nicht nur brisant, weil die polizeiliche Datensammelei überwiegend im Verborgenen abläuft und weil sie Informationen zusammenführt, die in ihrer Gesamtheit so nur staatlichen Stellen zugänglich sind. Diese Dinge sind auch selbst dann noch brisant, wenn sie Vorgänge betreffen, die ohnehin öffentlich bekannt sind, so z.B. der Besuch des Bundespräsidenten Horst Köhler im Kloster Marienthal, bei dem man Michael Grasemann als „Plakathalter“ erfasste. Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ein Bürger selbst etwas über sich preisgibt oder ob ohne sein Wissen und Zutun Daten über ihn gesammelt werden. Und solche Angaben werden erst recht brisant, wenn sie aus unsicheren Quellen stammen, wie z.B. bei der „Spontandemonstration“ am 06.04.2008 vor dem Rathaus. Bitte: Schon morgen kann irgendjemand eine Demonstration gegen irgendetwas veranstalten und wenn die Polizei fragt, wer der Versammlungsleiter ist, dann sagt er halt, er tut das in Vertretung von Michael Grasemann.
Das letztgenannte Beispiel illustriert im Übrigen sehr gut die Leistungsfähigkeit der IVO. Die Streifenpolizisten sind am 06.04.2008 nur mit dem Namen „Grasemann“ in ihre Dienststelle zurückgekehrt. Doch mit der IVO-Datenbank konnten sie leicht herausfinden, dass wohl der polizeibekannte Waldschlößchenbrückengegner Michael Grasemann gemeint sein wird. Die Versuche des ostdeutschen Staatssicherheitsdienstes, mithilfe von Karteikästen und Aktenkilometern den Überblick über mutmaßliche Staatsfeinde zu behalten, muten vergleichsweise archaisch an. Heute können das über 12.000 Polizeibeamte in Sekundenschnelle in jeder Polizeidienststelle des Frei(?)staats Sachsen.
Wer nun glaubt, im Polizisten an der Ecke die Wurzel allen Übels zu erkennen, weil dieser nach dem Streifendienst seine gelegentlich etwas schlichten Geschichten vom „Bürger, der sich durch eine Tröte belästigt fühlte“ oder von „einer Mahnwache mit 13 Personen und einem Hund“ artig in seinen Computer eintippt, der sucht an gänzlich falscher Stelle. Die Streifenpolizisten sind die kleinsten Rädchen im ganzen Getriebe. – Nein, hier gilt wie auch sonst im Leben: Der Fisch stinkt vom Kopfe her.
Es darf nicht übersehen werden, dass alle IVO-Einträge zu Michael Grasemann mit Bezug zum Welterbe und zur Waldschlößchenbrücke Ereignisse der freien Meinungsäußerung und der politischen Willensbildung betreffen und dass es bei keinem dieser Ereignisse zu Straftaten kam. Alle Vorgänge haben den Status „normal abgeschlossen“, gleichwohl werden sie noch lange nicht gelöscht. Wenn diese Einträge demnach nicht zur Strafverfolgung dienen, können sie nur verwendet werden, um ein Profil von der politischen Orientierung des Bürgers Michael Grasemann zu erstellen. Das kann man getrost unterstellen, denn Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) antwortete auf die Anfrage eines Landtagsabgeordneten: „Die Errichtungsanordnung [der IVO-Datei] … wurde nicht veröffentlicht, um Einblicke in die Polizeiarbeit zu verhindern.“ Wenn Herr Buttolo also mittlerweile über 7 Millionen Datensätze über sächsische Bürger gesammelt hat, ohne zu verraten, wozu er das eigentlich tut, dann scheut er Transparenz wohl aus gutem Grund.
Es sind gerade die ostdeutschen Exponenten der CDU, die sich im zwanzigsten Nachwendejahr als die Gralshüter der Demokratie gerieren. Sie versuchen, die Zerschlagung des ostdeutschen Stasi-Staates als ihren persönlichen Verdienst darzustellen. Vor diesem Hintergrund wirkt es auf den ersten Blick widersinnig, wenn es gerade Mitglieder der CDU sind, die eifrig am Umbau Sachsens in einen Überwachungsstaat basteln. Es passt aber durchaus zum Bild eines Bundesinnenministers, der mit Verweis auf die Terrorabwehr eine lückenlose Telekommunikationsüberwachung einführte. Und es passt sehr gut zum Bild einer Bundesfamilienministerin, die mit Verweis auf die Bilder geschändeter Kinder eine Zensurinfrastruktur im Internet installieren lässt. Beide besitzen auch ein Parteibuch der CDU.
Es gibt mittlerweile viele, die meinen, dass Politiker solcher Couleur eine schwer wiegende Bedrohung für unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Leben darstellen. Dazu zählen einige der amtlichen Datenschutzbeauftragten genau so wie ein Großteil der 30.000 Unterzeichner der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung oder der 130.000 Mitzeichner der Bundestagspetition gegen Internetsperren.
Wer noch immer meint, PASS, IVO, Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren haben für ihn keine Relevanz, weil er weder gegen die Waldschlößchenbrücke ist noch mit Terroristen telefoniert oder im Internet nach Kinderpornos sucht und auch sonst glaubt, er habe ja nichts zu verbergen, der sollte sich eine ganz einfache Frage stellen:
Wie lange noch?
Hinweis: Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.akdatenbank.de.