Ehre, wem Ehre gebührt
19. Dezember 2009
von Eduard Zetera
Wussten Sie, dass Kofi Annan, ehem. UN-Generalsekretär, Ehrendoktor der TU Dresden ist? Wenn das vielen nicht bewusst ist, wird das auch daran liegen, dass zwischen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der TU Dresden, welche diese Ehrung im Jahr 1999 anregte, und Dr. Dr. Dr. [… insgesamt 22 mal …] Dr. Kofi Atta Annan nur insofern eine Beziehung besteht, als dass er in den USA seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften erlangt und an der Sloan School of Management des MIT seinen MBA gemacht hat. Der Umstand, dass ihm 18 seiner 22 Doktortitel innerhalb seiner Amtszeit als UN-Generalsekretär von 1997 bis 2006 verliehen wurden, legt die Vermutung nahe, dass weniger Kofi Annan mit der Doktorwürde geehrt werden sollte, als dass die verleihenden Institutionen danach trachteten, sich mit dem Namen des UN-Generalsekretärs zu schmücken. Eitelkeit pur. Wenn die TU Dresden auf eines stolz sein kann, dann vielleicht darauf, dass sie mit Platz 4 in der Titelliste zu denen zählt, die diese Möglichkeit recht früh erkannten.
Einen ganz ähnlich gelagerten Fall erleben wir dieser Tage wieder: Der SZ vom 18.12.2009 entnehmen wir, dass unser Dresdner Alt-Revoluzzer Arnold Vaatz vorschlägt, Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl die Ehrenbürgerschaft Dresdens angedeihen zu lassen. Er begründet das damit, dass „der Auftritt des Bundeskanzlers in Dresden [am 19.12.1989 vor Zehntausenden auf dem Neumarkt] zu den Momenten des Jahres 1989 [zählt], die die Revolution unumkehrbar machten.“ Dass dieser Auftritt zu den wichtigen Ereignissen der Wendezeit gehört, ist unumstritten – wohl auch, weil er den Punkt markiert, an dem sich der Ruf „Wir sind das Volk!“ in die Formel „Wir sind ein Volk!“ wandelte.
Warum Helmut Kohl gerade Dresden für seinen Auftritt wählte, kann man nur vermuten. Es heißt, dass der Kontakt zu Hans Modrow (bis dahin Erster Sekretär der Dresdner Bezirksleitung der SED und seit dem 13.11.1989 als Vorsitzender des Ministerrates der DDR eine Art Kronprinz auf Abruf) den Ausschlag gab. Jedenfalls wird es kaum daran gelegen haben, dass Dresden als Hochburg des ostdeutschen Widerstandes galt: Die Leipziger hatten bereits am 04.09.1989 mit 1.200 Teilnehmern ihre Montagsdemonstrationen begonnen und zählten ab dem 16.10.1989 jede Woche weit über 100.000 Teilnehmer. In das Dresdner „Tal der Ahnungslosen“ kam erst Bewegung, als am 04.10.1989 die Züge mit den Prager Botschafts-Flüchtlingen durch den Hauptbahnhof fuhren und sich ca. 5.000 Menschen vor und im Bahnhof versammelten. Die Alexanderplatz-Demonstration am 04.11.1989 in Berlin hatte 500.000 Teilnehmer.
Von Bärbel Bohley, die bei der Alexanderplatz-Demonstration in der Nähe von Markus Wolf stand, stammt übrigens das Zitat:
Als ich sah, daß seine Hände zitterten, weil die Leute gepfiffen haben, da sagte ich zu Jens Reich: So, jetzt können wir gehen, jetzt ist alles gelaufen. Die Revolution ist unumkehrbar.
So viel vielleicht zur Frage, wer wann wo die Revolution unumkehrbar machte. Arnold Vaatz war es schon mal nicht. Und Helmut Kohl? Das ist ein anderes Thema …
Was ist es denn nun, das die Beziehung des Kanzlers der Einheit zu Dresden derart auszeichnet, dass er Ehrenbürger Dresdens werden sollte? Seine Verdienste um die Wiedervereinigung dürften es kaum sein – diese würden ihn per se für die Ehrenbürgerschaft aber auch jeder Gemeinde Neufünflands qualifizieren. Oder geht es im Grunde gar nicht um Helmut Kohl, sondern vielmehr um das Wahrnehmungsdefizit des Herrn Vaatz? Der Umstand, dass das Thema unter politischen Rahmenbedingungen, die den Vorstoß aussichtslos erscheinen lassen, unmittelbar vor dem 20. Jahrestag des denkwürdigen Ereignisses (welcher sich als Termin für die Verleihung angeboten hätte) durch die Presse geht, vermittelt den Eindruck einer medialen Verzweiflungstat.
Und noch eines sollten wir nicht übersehen: Um die Gesundheit von Helmut Kohl ist es derzeit beileibe nicht zum Besten bestellt. Von daher verbietet sich im Augenblick jeder Versuch, seine Person – selbst in allerbester Absicht – ins Rampenlicht zu zerren. Und wenn das aus purer Eitelkeit geschieht, dann ist es einfach nur noch widerwärtig.