Warum Helmut Kohl nicht Ehrenbürger unserer Stadt werden sollte
19. Dezember 2009
von Johannes Hellmich
Arnold Vaatz macht wieder einmal von sich reden. Wenn nicht die Demokratie in Gefahr ist, wie er sie versteht, wenn keine UNESCO-Diktatur droht und die gemaßregelten totalitären Eliten folgsam schweigen, muss es um mehr gehen. In seiner Partei wächst das Bedürfnis nach sichtbaren Zeichen ihrer langanhaltenden Macht. Eben erst haben sich die Protagonisten der Unionsherrschaft sächsische Verdienstorden zugeteilt, den berühmten Dankesorden wird demnächst Kurt Biedenkopf bekommen. Auch die geplante Ehrenbürgerschaft Kohls gehört zum Wunsch nach Etikettierung politischen Erbes, wie wir sie aus vorangegangenen Systemen zur Genüge kennen. Eine schwache Opposition soll ebenso wie die ungefragten Dresdner die neu erwachte Begeisterung der Union für Symbolik unterstützen. Dagegen gibt es Widerstand.
Für einen Polarisierer wie Arnold Vaatz reduziert sich Demokratie auf den Kampf um Mehrheiten. Einvernehmliche Lösungen im Interesse aller sind nicht seine Sache. Seine Meinungsführerschaft in der sächsischen Union beruht auf ideologischer Abgrenzung und einfachen Freund-Feind-Schemata. Wie kein anderer hat er die demokratische Kultur in Dresden nachhaltig beschädigt. Wie kein anderer ist seine Vita mit dem Selbstverständnis der sächsischen Union verknüpft. Für sie hat er sich in gewisser Weise geopfert: Aus dem gehätschelten Enfant terrible der Konservativen ist ein geifernder Wiedergänger McCarthys geworden, der geistigem Leerlauf und Machtembolie seiner Partei nun mit einer Flucht ins Historische entkommen will. Der ehemalige Hoffnungsträger kämpft damit auch um sein politisches Vermächtnis. Helfen soll ihm kein Geringerer als Helmut Kohl. Es trifft sich gut, dass auch der Altkanzler die Demütigung kennt, wenn alle Verdienste plötzlich nichts mehr gelten sollen, wenn das eigene Lebenswerk zur Beute von Abrechnern und journalistischer Resteverwertung wird. Auch Vaatz ist bundespolitisch inzwischen ohne Bedeutung. Die Gelegenheit der Wende- und Einheitsfeierlichkeiten ist für eine Rückmeldung günstig, Helmut Kohl vermutlich über jede Zuwendung erfreut. Für eigene Geschichtsverklärung kann Kohl seinerseits auch Vaatz gebrauchen. Dresden soll für diese Notgemeinschaft zur Kulisse werden. Wie so oft bei Vaatz, mischen sich Wahrheit und Lüge hinter scheinbar klarer Ansage auf kaum entwirrbare Weise. Denn er hat ein Problem: Jene Partei, die sich als Bringerin der deutschen Einheit sieht, ist zugleich die Partei der deutschen Teilung. Vierzig Jahre Unfreiheit wurden möglich, weil Kohls Übervater das Hemd näher war als die Jacke.
Das Jawort zur deutschen Einheit gaben sich Volk und Kanzler im Dezember 89 an der Frauenkirche zweifelsohne. Für Kohl dürfte die jubelnde Menge emotionaler Höhepunkt seines politischen Comebacks gewesen sein. Die Dresdner verabschiedeten an jenem Abend einen entgeisterten Hans Modrow zusammen mit seinem Traum von der erneuerten DDR und wählten Kohl per Akklamation. Der Rest war Formsache. Nach christdemokratischer Lesart begann bekanntermaßen mit der Einheit ein gewaltiges Aufbauwerk, das in Dresden nun seinen Schlussstein erhalten soll – die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Altkanzler. Vaatz hat recht: An jenem 19. Dezember wurde Geschichte geschrieben. Aber welche?
Sicher: Die Einheit, die für die meisten anwesenden Dresdner weniger eine nationale Frage war, als eher eine Hoffnung auf Grundrechte, Wohlstand und nationale Anerkennung, wurde selbstverständlich von der CDU erwartet. Lafontaine wurde als Bremser wahrgenommen; für die gesamte Linke im Westen war nach den Ostverträgen und Helsinki eine Wiedervereinigung kein Thema mehr. So machten uns das die Medien glauben. Der durchaus erfolgreiche sozialliberale Kurs eines Wandels durch Annäherung war 1989 bereits vergessen. Interessant ist, dass die dahinter vermutete vaterländische Unzuverlässigkeit der Linken in der neuesten deutschen Geschichte durchaus vielschichtig und sehr eng an die jeweilige politische Situation gekoppelt war, in gleicher Weise wie die Vaterlandsliebe der Konservativen. Während die Linke besonders nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches patriotische Verantwortung wahr nahm, entdeckten die Konservativen ihre Vaterlandsliebe erst seit den siebziger Jahren (praktischerweise, als die von ihnen herbeigeführte Zweistaatlichkeit scheinbar unumkehrbar geworden war). In der Einheitseuphorie der Nachwendezeit wird gern übersehen: Reale Chancen auf ein neutrales, entmilitarisiertes Deutschland, das die Kriegslasten gemeinsam tragen würde, hat es bis wenigstens 1952 gegeben. Es waren Konservative, die ihre Schwestern und Brüder im Osten der sowjetischen Fürsorge und Experimentierfreude überließen. Einheit in Freiheit lautete deshalb etwas euphemistisch die vaterländische Lebenslüge der CDU.
Helmut Kohl hat im besten Fall eine historische Gelegenheit genutzt, einen Verrat mit schrecklichen Folgen zu korrigieren. Mit historischer Wahrheit hat die Wiedervereinigungslyrik der sächsischen Union wenig zu tun. Genausowenig die Einheit selbst mit dem erlösenden Sturz des SED-Regimes und dem Aufbruch in eine Demokratie, die gerade durch das autokratische Herrschaftsgebahren der Union längst zur Karikatur verzerrt ist. Selbstredend gab es zur deutschen Einheit keine Alternative. Es ist zweifellos ein Verdienst Kohls, das klar erkannt zu haben. Ob der überstürzte Beitritt die richtige Lösung der deutschen Frage war, ist heute fraglicher denn je.
Die Würdigung der deutschen Einheit bleibt zuerst eine nationale Angelegenheit. Das Kriterium für die Ehrenbürgerwürde Dresden muss lauten, ob sich der zu Ehrende in besonderer Weise um unsere Stadt verdient gemacht hat. Politisch motivierte Ehrungen, die historischer Neubewertung ausgesetzt sein können, schaden der Ehrung selbst. Es wäre wichtiger, den Frieden in der Stadt wiederherzustellen, statt weitere Gräben an anderer Stelle aufzureißen.
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