So möge Gott uns segnen mit Unbehagen
21. Januar 2010
Pfarrer i.R. Manfred Bauer
zur Gedenkveranstaltung für Achim Weber
am 20.01.2010 in der Dreikönigskirche
Leben
einzeln und frei
wie ein Baum
und brüderlich
wie ein Wald
ist unsere Sehnsucht
Diese Worte von Nazim Hikmet sind für Achim Weber ausgewählt worden. Ausgewählt mit gutem Gespür dafür, was sein Leben geprägt hat. Es sei mir erlaubt, ein Wort der Bibel hinzuzufügen, ein Wort biblischer Poesie aus dem Buch der Psalmen:
Ein Mensch
ist in seinem Leben wie Gras.
Er blüht wie eine Blume auf dem Feld.
Und wenn der Wind darüber geht
so ist sie nimmer da.
Die Gnade aber Gottes, des Herrn,
währt von Ewigkeit zu Ewigkeit
über denen, die ihn fürchten
und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind
bei denen, die seinen Bund halten
und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.
Psalm 103:15-18
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Trauer um Achim Weber hat uns dazu gedrängt, in guter Gemeinschaft – brüderlich (geschwisterlich) wie ein Wald – seiner zu gedenken und der Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, die den Weg mit ihm zusammen geprägt hat.
Leben! Wirklich leben!
Aber noch immer ist nicht zu begreifen, wie denn sein Lebensweg – wie eine Blume auf dem Feld – so unvermittelt zu Ende sein konnte. Unsere Sehnsucht nach Leben ist sehr hart auf die Wirklichkeit des Todes gestoßen.
Doch Sehnsucht – man könnte auch Hoffnung sagen – kommt damit gewiss nicht ans Ende.
Wer ausschließlich auf die Vergänglichkeit schaut, der muss versuchen, in der Kürze seiner Lebenszeit (oder auch nur seiner Legislaturperiode) alles zu erreichen, was seine Sehnsucht ihm sagt.
Wer bewusst oder auch unbewusst nur auf seine Vergänglichkeit schaut, der wird es mit der Verwirklichung seiner Pläne sehr eilig haben, der wird kurzatmig auf Beschleunigung drängen, der wird es notfalls mit Macht und Gewalt durchsetzen. Von den diffizilen Methoden will ich jetzt nicht reden. Achim Weber hat darunter gelitten.
Weil ihn aber die Sehnsucht nach Leben erfüllte, waren ihm schnelle Lösungen immer verdächtig. Das Wort „nachhaltig“ war noch nicht erfunden, als er anfing, nach Schritten ins Leben zu suchen, als er dagegen zu streiten begann, was das Leben eingrenzt und ärmer macht. Nachhaltig bedeutet doch, etwas zu tun, was denen zugute kommt, die nach uns kommen. Die Kindeskinder. Die Bibel gebraucht in diesem Fall nicht selten das große Wort Ewigkeit. Es geht um Schritte auf dem Weg, der weit über uns hinaus weist. Schritte, die große Geduld und einen langen Atem ermöglichen.
Für Nachhaltiges einzutreten, kann aber auch sehr nachteilig sein. Und Erfolg bleibt einem nicht selten versagt. Doch seine Entscheidungen nach Vorteil und Nachteil abzuwägen, das war Achim Webers Weise nicht. Das werden dann einige seiner Weggefährten bezeugen.
Gedenken an Gottes Gebote. So heißt es im Psalm. Gedenken, was dem Leben dient oder was tödlich ist. Gedenken, was die Schöpfung erhält oder was ihr Schaden zufügt. Gedenken, was gerecht ist (schöpfungsgerecht, Dresden-gerecht, Menschen-gerecht) oder was – nicht selten unter dem Schein des Rechts – der Gerechtigkeit abträglich ist. Gedenken an Gottes Gebote.
Mit der Sehnsucht nach Leben, so sagt es die Bibel, haben wir bei Gott eine Chance. Die Sehnsucht nach Leben findet bei Gott ihre Erfüllung. Das gilt – auch wenn wir erleben, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Erschreckend begrenzt.
Aber Erschrecken, Schmerz und Trauer sind ja auch Zeichen für die Tiefe des Lebens. Das haben wir in diesen Tagen erlebt. Brüderlich wie ein Wald …
Wir werden das auch weiterhin erleben können. Wenn wir unseren Weg, den wir mit Achim Weber gegangen sind, nun ohne ihn weiter gehen werden.
Und das wollen wir ja tun.
So kann sich unsere Trauer in Zuversicht und in Mut wandeln.
Das schenke uns Gott.
In allem aber erfülle uns die Gewissheit, dass wir auf dem Weg der Sehnsucht nach dem Leben weitere Schritte zuversichtlich und mutig gehen können.
So möge Gott uns segnen mit Unbehagen
gegenüber allzu einfachen Antworten,
Halbwahrheiten und oberflächlichen Betrachtungsweisen,
damit Leben in der Tiefe unseres Herzens wohne.Möge Gott uns mit Zorn segnen
gegenüber Ungerechtigkeit, Unterdrückung
und Selbstherrlichkeit der Mächtigen,
damit wir nach Gerechtigkeit und Frieden streben.Möge Gott uns mit Tränen segnen,
zu vergießen für die, die unter Schmerzen und Not,
Unverständnis und Unvernunft leiden,
damit wir unsere Hände ausstrecken, sie zu trösten
und ihren Schmerz in Hoffnung und Freude zu verwandeln.Und möge Gott uns mit Torheit segnen,
daran zu glauben, dass wir die Welt verändern können,
indem wir Dinge tun,
von denen andere meinen,
es sei unnötig und unmöglich, sie zu tun.
So segne uns der barmherzige Gott, der Vater, der Sohn, der Heilige Geist.
Amen.
Das Segenswort entstammt dem Gottesdienstbuch „em tua graça“ der neunten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre (Brasilien) 2006.