Dresdner Missklänge
7. Februar 2010
von Wilfried Hanisch
Was ist nur los in Dresden? Alle Welt redet von der Kunst- und Kulturstadt Dresden. Und sie hat ja auch recht: Dresden hat trotz aller Zerstörungen ein reiches Erbe an materiellen und immateriellen Kunstschätzen. Es sind nicht etwa nur die erhaltenen Reste von Renaissance und Barock, die den Rang Dresdens ausmachen. Auch danach war Dresden in allen Künsten stets auf der Höhe der Zeit. Bedeutende Zeugnisse der Architektur und der Malerei entstanden in Dresden. Wichtige Kunstsammlungen finden sich in der Stadt. Hochschulen für Musik und Bildende Künste sorgen dafür, dass die Stadt nicht nur in der Tradition verharrt. Hier wurde das moderne Tanztheater geboren. Es gibt eine blühende Theaterlandschaft aus öffentlichen und privaten Einrichtungen. Zwei große Orchester von Weltrang prägen das Musikleben.
Zwei Orchester von Weltrang! Und hier beginnt ein Problem. Es gibt in Dresden keinen wirklich zufriedenstellenden großen Konzertsaal und es wird nach dem Willen der Stadtregierung und des Landes auch nicht so bald einen geben. Die Staatskapelle Dresden, Richard Wagners „Wunderharfe“, führt ihre Konzerte in der Semperoper auf und die Dresdner Philharmonie spielt im großen Saal des Kulturpalastes. Beides sind Orte, die „gerade so gehen“. Das Konzertzimmer auf der Bühne der Semperoper bietet für die Werke der Klassik und der frühen Romantik eine ordentliche Akustik. Für die großen Orchesterapparate der Spätromantik oder zeitgenössischer Werke ist sie aber nicht geeignet. Der Saal im Kulturpalast ist ein Mehrzwecksaal mit 2400 Plätzen. Neben der Philharmonie wird er auch zu Tagungen und Unterhaltungsveranstaltungen genutzt. Er besitzt eine große Bühne mit Vorhang, Seitenbühnen, Kipp-Parkett, Orchestergraben, eine mobile Orgel, Regie- und andere Nebenräume und zählt damit zu den besten Sälen in Deutschland. Die damit gegebenen unterschiedlichen Anforderungen an den Saal führten von Anfang an zu Kompromissen in der Gestaltung des Saales. Insbesondere bei der Akustik gingen die Kompromisse zu Lasten der Nutzung als Konzertsaal. Kongresse oder Unterhaltungsveranstaltungen lassen sich durch Einsatz elektroakustischer Einrichtungen gut durchführen. Für Orchesterkonzerte verbietet sich das. Da der Saal fast täglich für neue Nutzungen umgebaut werden muss, fielen die Reflektionswände, die das Problem beheben sollten, bald dem praktischen Bühnenbetrieb zum Opfer.
Der Kulturpalast wurde in den späten 60er Jahren von Leopold Wiel und Wolfgang Hänsch gebaut. Er ist eines der Gebäude, mit denen in Dresden der Anschluss an die internationale Moderne hergestellt wurde. Er ist vergleichbar mit der alten Duisburger Mercatorhalle. Er steht aus diesen Gründen unter Denkmalschutz. Die Schutzwürdigkeit ergibt sich weniger aus seiner Außenhülle, sondern aus seiner inneren Struktur. Neben dem großen Mehrzwecksaal befanden sich ein kleines Studiotheater, ein Restaurant sowie die erforderlichen Büro-, Proben- Garderoben- und technische Räume im Gebäude.
Da der Konzertsaal seinerzeit wesentlich unbefriedigendere Aufführungsorte ersetzen konnte, wurde er in der Stadt auch als Konzertsaal angenommen.
Nach nunmehr 40 Jahren ist jetzt eine Sanierung des Kulturpalastes überfällig. Dadurch wurde der Wunsch nach einem wirklich geeigneten Konzertsaal für die beiden Dresdner Spitzenorchester wieder geweckt.
Dementsprechend wurde durch die Stadt 1997 die „Architektengemeinschaft Kulturbauten“ renommierter Dresdner Architekten mit der Gesamtplanung der Sanierung des Kulturpalastes und des Umbaus des Mehrzwecksaales zum Konzertsaal der Philharmonie beauftragt. Bis 2001 entstanden unter der Mitarbeit von 10 Fachingenieurbüros die Planungen für einen amphitheatralischen Saal mit Orgel und einer auch für Besucher nutzbaren Chorempore, wie er heute an vielen Orten als Konzertsaal gebaut wird. Durch Messungen an einem Arbeitsmodell wurde die Akustik optimiert, so dass der Saal dem Vergleich mit erstrangigen Konzertsälen standhält. Die Planung wurde so ausgelegt, dass die denkmalgeschützte Struktur des Gebäudes nicht angetastet wurde. Der Stadtrat nahm diese Planungen seinerzeit zustimmend auf. Es liefen dafür mehrere Millionen € Planungskosten an. Allein die Kosten für die durch die Arbeitsgemeinschaft beauftragten Planungsbüros betrugen 3,0 Mio. €
So weit so gut. Aber es entsteht nun ein neues Problem. Durch die Optimierung als Konzertsaal geht unvermeidlich die breite Nutzungsmöglichkeit des bisherigen Mehrzwecksaales verloren. Es war daran gedacht, nicht mehr mögliche Nutzungen in den damals geplanten großen Mehrzwecksaal des neugebauten Kongresszentrums zu verlegen. Aber dieser Saal wurde vom Hochbauamt auf Grund einer Kostenfehlplanung aus der Planung herausgenommen, ohne die Auswirkungen dieser Entscheidung mit den anderen Betroffenen abzustimmen. Damit waren die Voraussetzungen für den Umbau nicht mehr gegeben.
In einer planungstechnischen Arabeske entstand zwischenzeitlich ein Entwurf von Hans Kohlhoff den Kulturpalast mit Hotel und Ladenpassagen zu umbauen. Der Kern des Gebäudes wäre davon nicht betroffen. Dieser Entwurf wird jedoch wohl auch wegen seiner fatalen städtebaulichen Auswirkungen nicht mehr verfolgt. Fehlende Hauhaltsmittel stellten alle weiteren Planungen in Frage und es wurde still um den Kulturpalast. Ein vernünftiger Konzertsaal für Dresden rückte wieder in weite Ferne. Der Chefdirigent der Philharmonie Marek Janowski verließ deshalb Dresden unter Protest.
Im Jahr 2007 gab es ein böses Erwachen. Die seit langem bekannten und verschleppten Mängel im Brandschutz führten zur kurzfristigen Schließung des Hauses für fünf Monate.
Im Jahr 2008 kam es zu einer neuen Volte. Der Stadtrat beschloss einen neuen Wettbewerb „Sanierung und Umbau des Kulturpalast Dresden“ auszuloben. Das neue Konzept nahm zusätzliche Funktionen, wie einen Theatersaal mit 350 Plätzen sowie eine Bibliothek auf. Im Wettbewerbsaufruf heißt es „Herzstück des Projektes ist ein als ‚innerer Neubau‘ zu konzipierender Konzertsaal der Philharmonie Dresden. Der besten raumakustischen Auslegung der Saalgeometrie im Vergleich zu den führenden internationalen Konzertsälen kommt die höchste Priorität zu.“ Damit wurde der bereits vorhandene Entwurf, der genau diese Kriterien erfüllte und dies in beträchtlicher Planungstiefe nachwies, ignoriert. Die Kosten für diese Planungen sind damit verloren. Ebenso wurden Bedenken gegen eine Mischnutzung als Bibliothek und Konzerthaus nicht berücksichtigt. Es gab und gibt keinerlei Studien, die die Sinnhaftigkeit dieser Vorgaben belegen. Unklar ist, wie sich die durch eine Bibliothek gegebene Brandlast mit einem Saal mit 2000 Plätzen verträgt und ob überhaupt vernünftige Evakuierungswege realisiert werden können. Tatsächlich soll der so entstehende Saal doch wieder als Mehrzwecksaal genutzt werden. Das Optimum als Konzertsaal ist damit doch wieder nicht erreicht.
Trotz aller dieser Bedenken wurde dieser Wettbewerb ausgelobt. Er begann am 1. November 2008. Bereits am 19. Juni 2009 stand der Siegerentwurf fest. Die Architekten Meinhard von Gerkan, Stephan Schütz und Nicolas Pomränke legten einen Entwurf vor, der nach Meinung der Jury „besonders behutsam mit dem denkmalgeschützten Kulturpalast umgegangen“ sei. Der konzipierte Saal fasst 1900 Plätze. Über seine akustische Eignung liegen keinerlei Untersuchungen vor. Auch Fragen der Evakuierung im Brandfall wurden nicht untersucht. Die Teilnehmer übernahmen die Wettberwerbsvorgaben ohne Kritik.
Dagegen regt sich Widerstand aus verschiedenen Richtungen. Drei Gruppen lassen sich da ausmachen.
Da sind zunächst diejenigen, die den Verlust des Kulturpalastes als Ort für größere populäre Veranstaltungen befürchten. Es ist in der Tat schwer vorstellbar, dass etwa das jährlich stattfindende Dixieland-Festival in einem Konzertsaal für klassische Musik stattfinden könnte. Auch Tanz- oder Bankettveranstaltungen, wie im bestehenden Saal, werden nicht mehr möglich sein. Der Kulturpalast verliert damit seine Bedeutung als kulturelles Zentrum, die er für einen beträchtlichen Teil der Dresdner Bürger hat.
Zum anderen gibt es Bedenken seitens des Denkmalschutzes und von Architekten. Denn im Gegensatz zu der Einschätzung der Jury sehen sie im Entwurf einen gravierenden Eingriff in die ursprüngliche, unter Denkmalschutz stehende Struktur des Gebäudes. Die vorgesehene Mehrfachnutzung ist nur unter Aufgabe der klaren Struktur des Kulturpalastes zu erreichen. Es wird bezweifelt, dass durch die vertiefende Planung die Mängel des Konzeptes einer Mehrfachnutzung behoben werden können. Die Architekten Leopold Wiel und Wolfgang Hänsch haben deshalb in einer „Urheberrechtlichen Stellungnahme“ Einspruch gegen die Planungsabsichten der Stadt erhoben.
Die dritte Gruppe bildet ein großer Teil der Dresdner Musiklebens. Es besteht der Wunsch, endlich einmal für Dresden einen würdigen Konzertsaal zu bekommen. Der durch den beabsichtigten Umbau des Kulturpalastes entstehende Saal erfüllt keineswegs die dazu nötigen Einrichtungen. Es fehlen ein Kammermusiksaal und ein Probensaal. Es wird deshalb vorgeschlagen, den Kulturpalast mit dem vorhandenen Saal behutsam zu sanieren und zu modernisieren. Mittelfristig sollte dann für Dresden ein eigenständiges Konzertgebäude angegangen werden. In der Zwischenzeit kann der jetzige Saal durchaus noch weiter als Konzertsaal dienen. Seine Akustik kann durch geeignete Einbauten aufgewertet werden. Der völlige Umbau des Kulturpalastes hingegen macht Bestrebungen, einen wirklich guten Konzertsaal zu erhalten, für Jahrzehnte unrealistisch.
Möglicherweise erscheint es vermessen, in Dresden an einen eigenen Konzertsaal für zwei Orchester von Weltrang zu denken. Auch wenn international wirkende Dirigenten die Forderung danach unterstützen, ist seitens der Stadt da nichts zu erwarten. Weder hat die Stadt Dresden dafür die erforderlichen Mittel, noch ist das Land Sachsen bereit, ein solches Projekt zu unterstützen. Es entspricht eben nicht der Vorstellungswelt kommunaler oder Landespolitiker. Der Kulturbürgermeister der Stadt will „einen Konzertsaal nicht geschenkt haben!“ Eine Arena mit 35000 Plätzen für einen Fußballverein der dritten Liga war jedoch möglich.
Ein aktiver Förderverein namhafter Dresdner verfolgt aber doch dieses Ziel. Es bestehen Bestrebungen einen Teil der Mittel für ein Konzerthaus durch private Spenden einzuwerben.
Es gibt verschiedene Vorstellungen, wie ein Konzertsaal aussehen, und wo er stehen könnte. Da ist einmal ein Standort gegenüber der Brühlschen Terrasse, dem sogenannten Narrenhäusel, einer derzeit als Biergarten genutzten Brache. Dieser Standort hätte den Charme, dass an dieser Stelle durch eine mutige Gestaltung das der Altstadt gegenüberliegende Elbufer aufgewertet und ein Gegengewicht gegen die königlich sächsischen Ministerien geschaffen werden könnte, die dort jetzt dominieren. Aber auch andere Standorte sind denkbar. So könnte etwa der Postplatz durch den Bau von Kultureinrichtungen, wie eben dem Konzertsaal, endlich wieder zu einem würdigen Ort in der Stadt werden. Da dort mehr Platz ist, könnten auch die heutigem Standard entsprechenden Zusatzeinrichtungen untergebracht werden. Bei der Gestaltung des Saales wäre zu bedenken, ob man eine völlig neue Konzeption verfolgen will, oder ob man auf die schon weit gediehenen Planungen der Architektengemeinschaft von 1997 bis 2001 zurückgreift.
Der Stadtrat hat am 11. Dezember 2009 trotz aller Einwände beschlossen, den Umbau voran zu treiben und Planungsaufträge zu erteilen. Es ist jetzt zu hoffen, dass bei einer wirklich fundierten Untersuchung der vorliegenden Entwürfe doch noch Wege zu einer befriedigenden Lösung gefunden werden. Zumindest sollte verhindert werden, dass durch die jetzigen Planungsabsichten der Weg zu einer der Stadt wirklich gerecht werdenden Lösung verbaut wird. Wenn sich Dresdner zu gemeinsamen Handeln aufraffen, dann sind auch unmöglich scheinende Dinge möglich.