Was kostet der Frieden?
31. März 2010
von Johannes Hellmich
Alles Vorhaben hat seine Stunde. Wer noch immer die Blogs der Welterbebewegung besucht, findet veraltete Termine, letzte Aufrufe, verlassene Stellungen. Die Zeit für Versuche, im Dresdner Welterbekonflikt eine kritische Gegenöffentlichkeit zu etablieren, scheint vorüber. Das erstaunt, weil gerade die jüngere Vergangenheit reichlich Stoff bietet für Auseinandersetzungen mit einer desorientierten Landesregierung und ihrer Zweigstelle im Dresdner Rathaus.
Aber trotz oder erst recht wegen sich überstürzender Meldungen aus dem plötzlich klammen Sachsenbetrieb: Das Scheitern eines auf prestigeträchtige Großprojekte gerichteten Willens zur Macht, der von Beginn an routiniertes Abgreifen von Fördermitteln mit Politik verwechselte, bleibt ohne ernstzunehmende Reflexion. Mehr noch als die Schwierigkeit, strukturelle Defizite von unausweichlichen Wirkungen der Großwetterlage zu unterscheiden, führt bei vielen nun doch eine lange bekämpfte Resignation zu völliger Sprachlosigkeit. Verstummen ist für manchen Bürger letzte und würdigste Protestform in einem ungleichen Kampf geworden.
Das Cocooning der Verständigen begleitet alle Restaurationsphasen. Abkehr von Öffentlichkeit kann zu innerer Sammlung und Neuorientierung führen. Sie birgt gleichwohl die Gefahr einer biedermeierlichen Verödung; besonders im beschaulichen Rest des Elbtals. Die Bilanz ist erschreckend genug: Dem durchgesetzten Werteverlust, der Brüskierung einer kulturell interessierten Weltgemeinschaft, dem Ringen zahlloser Dresdner um gewachsene kulturelle Identität einer lebenswerten Stadt, der verweigerten Mitgestaltung eines oft verstörenden Transformationsprozesses und schließlich den zerstörten Elbwiesen steht kein Gewinn gegenüber.
Wer genau hinhört, merkt aber: Geschwiegen wird allenthalben. Schon halten die Mächtigen das gesammelte Schweigen für Versöhnung, schon gilt gemeinsamer, selbstverständlichster Protest gegen Geschichtsrevisionismus als Indiz neuer Dresdner Harmonie. Dieser behauptete Frieden ist kein Zufall. Die Union lässt ihn sich, aber auch uns, einiges kosten. Wo immer man Zentren des bildungsbürgerlichen Widerstandes der letzten Jahre vermutet, gibt es nun Segnungen unterschiedlichster Art. Auch hier werden Prioritäten gesetzt, verrät die Vorgehensweise professionellen PR-Support.
Besonders augenfällig wird das im Verhältnis zwischen Sachsenunion und einer noch immer starken evangelischen Landeskirche, das im Sonntagsstreit 2009 seinen vorläufigen Tiefpunkt fand. Während Landesbischof Bohl im linken Spektrum noch um Unterstützung für die Rettung des Advents werben ließ, war ihm die erreichte Nulllösung dann plötzlich offenbar unangenehm. Im Vorfeld des 13. Februar, für den er sich brav neben der Oberbürgermeisterin für eine Plakataktion der Stadt ablichten ließ, sprach er nach der obligatorischen Verurteilung rechtsextremen Gedankenguts mit Verweis auf Sahra Wagenknecht wider besseres Wissen von linksextremistischem Antisemitismus. Wer die Subtextualisierung lutherischer Verlautbarungen kennt, musste darin eine Anbiederung an genau jene Kräfte der selbsternannten Mitte erkennen, die ihm bis dato die kalte Schulter zeigten. Der Schwenk hat sich gelohnt: Außergewöhnlich großzügig wird trotz leerer Kassen seitens des Landes und der Stadt ein Kirchentag unterstützt, der Dresden von seiner wertebewussten Seite präsentieren wird. Ein gescheitertes Weltkulturforum reicht als Mahnung offenbar nicht. Und wird Landesbischof Bohl wieder energisch protestieren, wenn eine schwarz-gelbe Mehrheit im Sommer den Sonntagsbeschluss des Stadtrates kassiert?
Aber auch die UNESCO wird auf bescheidenem Niveau umarmt: Eine Völkerrechtlerin, die noch 2006 in scharfer Form die Ignoranz der sächsischen Regierung in der Welterbefrage geißelte, gehört ihr jetzt selbst an und meint mit der Verpflichtung eines Stardirigenten die beleidigte Dresdner Hochkultur befriedet zu haben. Sabine von Schorlemer ist seit 2004 (Wiederwahl 2008) Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission, aber auch – das trifft sich gut – Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD. Frau von Schorlemer darf zugetraut werden, dass ihr die Perfidität eines Pferdehandels, der letztlich Elbwiesen gegen Staatskapelle tauscht, bewusst ist. Ihr Karrieresprung wird symptomatisch für das tiefe Missverstehen einer gutmeinenden Außenansicht im Welterbekonflikt und einer kalt berechnenden Öffentlichkeitsarbeit der Union. Die Einbindung Schorlemers ermangelt mit der beharrlichen Weigerung, auf die UNESCO zuzugehen, deshalb einer grundsätzlichen Glaubwürdigkeit von beiden Seiten.
Der Maßnahmenkatalog der christdemokratischen Friedensinitiative kennt ohnehin keine Schamgrenze: Dazu zählen Ehrungen für Kulturschaffende und Renegaten genau so wie die Einstellung der Hetze gegen linksgrüne Demokratiegefährdung, aber auch die angekündigte grüne Behübschung Dresdens, deren Ernsthaftigkeit erst kürzlich bei Baumfällungen an der Elbe zu erleben war oder die Ruhigstellung des Störenfrieds Avenarius, dessen mediales Wirken bei aller Widersprüchlichkeit doch die Aufmerksamkeit des mündigen Bürgers gegenüber der Judikative geschärft hatte.
Dahin gehört auch jene merkwürdige Begegnung der Friends of Dresden und Günter Blobels mit den Spitzen der Union anlässlich der Verleihung eines Dresdner Friedenspreises in der Dresdner Oper. Ausgerechnet Helma Orosz, die mit ihrer Strategie verantwortungsloser Wählertäuschung die Absage an eine Verständigung mit der UNESCO maßgeblich mitgetragen hat, drängte sich im Pressepulk an die Seite Gorbatschows, nahm Blobels Idee eines Friedensmuseums wohlwollend auf, setzte sich auch hier billig in Szene.
Dass der Inspirator Blobel genau wie Gorbatschow, Baum, Genscher und die Organisatoren von einem universalen Friedensgedanken durchdrungen sind, steht außer Frage. Selbst der möglicherweise unterschwellige Versuch, einen vorhandenen schwelenden Wertekonflikt in einem größeren Bedeutungszusammenhang aufzuheben, wäre legitim. Die Initiative ist aufrichtig und verdient Unterstützung. Gleichwohl ist sie ein stückweit Erziehungsmaßnahme mit offenem Ausgang. Denn was prädestiniert eine selbstgerechte Landeshauptstadt, deren Bürger unter der Oberfläche unversöhnt sind, wirklich, ausgerechnet einen Friedenspreis zu verleihen? Ob zum Frieden im Großen derjenige beitragen kann, der im vermeintlich Kleinen andere nötigt und vertragliche Selbstverpflichtung ignoriert, darf bezweifelt werden.
So billig ist Frieden nicht zu haben.
Gewiss, auch Frieden hat seine Zeit. Mag sein, dass selbst die Union lernfähig ist. Mag sein, dass es unbewusster Antrieb einer Generation Mücke-Zastrow-Rohwer und westdeutscher Aufbauhelfer war, die, teils unverschuldet, einem humanistischen Europa achselzuckend gegenüberstehen, großstädtisches und vermutetes ostdeutsches Selbstbewusstsein zu brechen – das alles berücksichtigt, bleibt für viele Bürger, die das Dresdner Trauerspiel erlebt haben, klar: Wenn sie einmal damit durchgekommen sind, werden sie es genau so wieder machen.
Und schließlich: Eine Rehabilitierung Blobels jenseits der Frage, ob der Dresdner Friedenspreis ein starkes internationales Renommee erfährt, bleibt nach wie vor ein Gebot elementaren Anstands und ist von jenen Politikern zu leisten, die der Ungeheuerlichkeit christdemokratischer Argumentation in der Welterbefrage nicht widersprochen haben. Ohne dieses Mea Culpa, das letztlich in die Rehabilitierung der Dresdner Welterbebewegung und Umweltverbände münden muss, ist ein zukunftsweisendes Miteinander etwa bei der Planung eines Friedensmuseums schwer vorstellbar.
Das Haar in der Suppe.
Auch wenn die Sächsische Zeitung nunmehr wieder ein bisschen polemisieren darf, sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Aufhebung der Selbstzensur lokaler Medien erfolgt nicht uneigennützig. Die sich abzeichnenden sozialen Konflikte können nicht ignoriert werden, wie zuletzt die Proteste eines kleiner werdenden Häufleins Welterbefreunde. Entscheidende Wahlen liegen hinter uns. Immer öfter ist der Rat zu hören: In schwieriger Lage gemeinsam nach vorne schauen, den Tunnel endlich abhaken; das interessiere doch niemanden mehr. Allenfalls die zu erwartenden exorbitanten Mehrkosten für die Brücke werden nach Ritus vorsorglich streitsüchtigen Umweltverbänden angelastet.
Was kann dem noch entgegengesetzt werden, außer der schwachen Hoffnung, dass der Lebensraumtyp 3270 selbst die sächsische Justiz vor eine unmögliche Aufgabe stellt? Jenes Urteil, mit dem der Propagandaapparat von Union/FDP ebenso frohlockend wie wahrheitswidrig behauptete, ein Tunnel wäre umweltrechtlich nicht zulässig, könnte nun das Aus für eigene Überheblichkeit einleiten. Das Haar in Suppe, die sich Herr Reuther und gutachterlicher Eifer selbst eingebrockt haben und die – natürlich – der Steuerzahler auslöffeln darf, würde am Ende bei der Union zu dauerhaften Schluckbeschwerden führen. So viel jedenfalls ist schon jetzt klar: Sollten die Wiederherstellung des Welterbes und Bereinigung einer jahrelangen Denunziation der Civitas scheitern, werden sich schließlich notwendigerweise die Möglichkeiten der Demokratie selbst verengen: Die Hoffnung mancher Christdemokraten auf Schwarz-Grün für Sachsen wird dann auf eine lange Zeit keine Option sein. Die Waldschlösschenbrücke bliebe sichtbares Symbol einer Machtpolitik, zu deren Opfer gerade auch ökologisches Verantwortungsgefühl geworden ist. Es bliebe Symbol für die Unmöglichkeit sächsischer Grüner gegen den Willen ihrer Dresdner Wähler in eine unionsgeführte Landesregierung einzutreten.
Das klingt ein wenig nach Goethes Knaben und der trotzdem gebrochenen Rose. Gemessen an den Opfern, die jene Dresdner gebracht haben, ist das kein Trost.